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Ein Singsang der Vergänglichkeit

Den Weltekel lehren: Elfriede Jelinek legt eine porno-katholische Tirade, eine Große Österreichische Schmährede vor, bei der das weibl. Geschlechtst. wieder eine wichtige Rolle spielt  ■ Von Petra Kohse

Die Sonne hält uns eine Lampe ins Gesicht, wir glauben, das Helle vor uns wäre ein Spiegel, und schlagen mit dem Kopf heftig an den Stein, der wir selber sind.“ Schon im Prolog des neuen Romans von Elfriede Jelinek gibt es Tote, geht es gebetsmühlenhaft um Schuld, um menschliche Lächerlichkeit und die Infamie der Natur.

Noch bevor das 666 Seiten dicke Buch richtig angefangen hat, möchte man widersprechen, aber man kommt schon gar nicht mehr zu Wort. Das schreckt ab und reizt zugleich: Dieser Tirade in der Tradition Großer Österreichischer Schimpfreden standzuhalten, wird irgendwie zur Ehrensache. Keinesfalls will man kapitulieren vor all dieser Wut und vor der Verkrampfung und Verklemmung im Detail.

„Die Kinder der Toten“ ist ein ins Groteske verzerrter gesellschaftskritischer Rundumschlag, verfaßt in einem Stilkonglomerat, mit dem sich die Autorin als Medium sämtlicher Medien exponiert. Durch die Sprache rasend und auf ihrer Oberfläche herumkletternd, häuft Jelinek Metaphern auf wie andere Leute Altpapier, spielt sie die Moderatorin ihrer eigenen Motivshow, bei der Paul Celans schwarze Milch ebenso auftritt wie Botho Strauß' Bocksgesang, kalauert sie drauf los und läßt sich immer wieder ablenken, von Lila Pausen in der Hand einer Franzi van Almsick oder anderen Werbebildern und Slogans:

„Die Frauen waren immer schon sein Element, in dem er schweifwedelnd herumgeschwommen ist. In dieses warme, tüchtig blutdampfende und nach Eingeweide stinkende Wageninnere ist, überflüssig aber danke, wir nehmen Süßstoff, aus den Tuben des Radios Musik als einzige Atmosphäre gedrückt worden.“ Die Penetration durch sprachliche Versatzstücke ist keineswegs ein Zusatzangebot, sondern das strafende Hauptanliegen dieses Buches, das definitiv und unwiderruflich Weltekel lehren will.

Gleichwohl läßt sich eine Geschichte destillieren. Ihr Hauptschauplatz ist die Pension „Alpenrose“ im Steirischen. Neben der üblichen Rentnerpersonnage, die in solchen Pensionen absteigt, wohnen dort auch Gudrun Bichler, Edgar Gstranz und Karin Frenzel. Die drei verbindet, daß sie schon gestorben sind. Die Studentin Gudrun hat sich die Pulsadern aufgeschnitten, der Skifahrer Edgar ist mit dem Auto gegen eine Hauswand geknallt und die klimakterische Sekretärin Karin ist ertrunken.

Gemeinsam sterben sie gleich zu Anfang ihres Urlaubs noch einmal bei einem Kleinbusunglück. Doppelt hält besser und jetzt sind sie wirklich gerüstet, sich im postmortalen Zustand mit Macht und Permanenz das zu verschaffen, was sie ihr Leben lang entbehrten: sexuelle Befriedigung.

Jedoch – dies ist ein immens katholischer Roman, und nach dem Leben kommt das Fegefeuer: Alle Kontaktversuche der drei Toten enden in Erde, Schleim und Wahn, bestenfalls in freudloser Gruppenmasturbation. Auch müssen sie sich immer aufs neue mit Doppel-, Dreifach- oder Vierfachgängern ihrer selbst befassen und zwanghaft ihren Ersttod wieder und wieder durchleben (Pulsadern, Hauswand, Wasser). Als Ablenkung bleiben nur Kannibalismus, Vampirismus und schierer Mord. Mal mehr, mal weniger beteiligt assoziiert die Erzählerin um diese Splatterhandlung herum. Verwegen versucht sie, durch eine Art nekrophiler Pornographie zu erschüttern und offenbart immer wieder ihre eigene Verklemmtheit. Denn daß Frauen eine „Spalte zwischen den Beinen“ haben, aus der etwas herausfließt (Blut, Schleim etc.) oder in die gar etwas eindringt, das kann sie letztlich nicht verzeihen. Voller Selbsthaß wird also der – vermeintlich männliche – Blick auf und ins weibliche Geschlecht immer wieder beschrieben – ein Rap- Element im Großen Singsang von der eklen Vergänglichkeit alles Irdischen.

In diesem Buch zeigt sich die fast 50jährige selbsterklärte Radikalfeministin Jelinek endgültig als Auslaufmodell. Irgendwann heißt es sogar mit pennälerinnenhaftem Ernst: „Ich glaube, das weibl. Geschlechtsteil ist deshalb so kompliziert gebaut, weil die Natur in ihm alles, was sie hat, in die Schlacht geworfen hat, da dieses Geschlecht doch laufend dezimiert und vom Aussterben bedroht wird.“

Dieses Zitat einer vermuteten Männerangst – das passenderweise von Kastrationsschilderungen en gros und en detail flankiert wird – will der Überbau sein zu all diesen „Grabschaufeln weiblicher Schenkel“, die sie beschwört, und ist doch nur – in Fortsetzung ihres Romans „Lust“ von 1989 – eine ranzig gewordene Säftelehre der masochistischen Art. Mit der Beantwortung der Frage, wer wen fickt und wie, hat die Geschlechterdiskussion heutzutage doch nun wirklich nichts mehr zu tun.

Und da ist noch etwas. In einer Szene bringen Gudrun und Karin ein altes Ehepaar um und fressen es auf. Es handelt sich dabei um Altnazis, die ihre „blutigen Äcker schon vor mehr als einem halben Jahrhundert zu Ende bestellt“ haben und „die unser Geschichtskonto belasten“.

Zwei Frauen, Angehörige dieses „vom Aussterben bedrohten“ Geschlechts, nehmen Rache in eigener Sache und werden dabei auch zu Rächerinnen jüdischer Opfer. So hysterisch eine solch umstandlose Kongruenz anmutet, so unerquicklich läppisch statt zynisch wirken auch dauermahnende Aphorismen folgender Art: „Ein Cousin der Wirtin brennt selber. Ein paar Millionen brennen mit.“

Neben allem anderen will dieses Buch also unbedingt auch ein Mahnmal sein, und doch findet sich nur eine einzige Szene, die in ihrer surrealen Schlichtheit gültig ist. „Streifzügler, Einsame, Patrouillengänger“ kehren da plötzlich zu Hunderten und Tausenden in die Pension ein. Sie strömen an die Rezeption, geben schweigend ihre Brillen ab, stapeln ihre Pappkoffer, verschwinden in den oberen Stockwerken und niemand weiß, wie und wo sie dort Platz finden – „ein ständiges Kommen und kein Gehen“.

Alles andere wird niedergeschwätzt. Mit dem Furor der Zynikerin will die Autorin Jelinek letztlich einfach eine Gerechte sein. Sie verdammt Politik, Verkehr, Mode, Tiere auf Tellern, Schmuck, Sex, Fernsehen, Autos, Sport, Tourismus, Männer etc., und das so versponnen wie das unabsehbare Haargeflecht der Toten, mit dem die Autorin ihre Romanlandschaft zweimal überzieht, und so unabänderlich wie die Moräne, die sie schlußendlich über ihre Pension „Alpenrose“ hinwegwandern läßt und die alles unter sich begräbt.

Als Kind der Toten mag Elfriede Jelinek aufrecht dastehen vor irgendeinem Jüngsten Gericht. Als Schriftstellerin unter Lebendigen indes, schießt sie an jeder ernstzunehmenden Diskussion wortgewaltig vorbei.

Elfriede Jelinek: „Die Kinder der Toten“, Rowohlt Verlag, 666 Seiten, geb., 48 DM

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