: Tumbe Freude gestört
■ betr.: „Ein paar Böller gegen das „Einheitsgesülze“, taz vom 4. 10. 95 „Trillern gegen die Bundeswehr“, taz vom 11. 10. 95
Es begann damals mit der Forderung „Deutschland einig Vaterland“, und das Geblöke nach dem „Das ganze Deutschland soll es sein“ (Quelle: Lied von E. M. Arndt) tönt fort bis heutzutage, weiter noch als „so weit die deutsche Zunge klingt“ (Arndt). Ein Reiter für das Große Deutschland fand sich in der Gestalt des gewichtigen Kohls, und somit war Luthers Verlangen erfüllt: „Deutschland ist ein schöner Hengst, welcher Futter und alles hat, wessen er bedarf. Es fehlt ihm nur an einem Reiter.“ Der Reiter wird immer wichtiger, das Volk unwichtiger.
Logisch daher, daß die neuen Junker, sie nennen sich jetzt Abgeordnete und Industriekapitäne, unter sich bleiben wollten, als der Fünfte Jubeltag der neuen Weltmacht-Republik anstand. Die Geburtsstadt des Schriftstellers Heinrich Heine, der für die Literaturepoche „Das junge Deutschland“ steht, Düsseldorf durfte am deutschen Tag Kulisse bilden für Staatsträger wie Süßmuth, Scharping, auch NRWs Vesper.
Das Volk durfte sich derweil besinnen auf „alte Werte“: „Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen“ (Lersch). Klar wurde uns Deutschen wohl die neue und alte Aufgabe, als die Bundeswehr mit einem Großen Zapfen(-streich) die Einheit feierte, frei nach dem wieder aktuellen Motto „The Germans to the front“ Boxerkrieg 1900.
In Erfurt trillerten Gegner des Schildbürgerstreiches: falsch gemachte Deutsche Vereinigung. Ihren Protest im Sinne von Heines „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“, drängten Polizisten befehlsgemäß ab, weil doch niemand die tumbe Freude stören durfte. Und damit die Losung bleibt: „Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben!“ (A. Matthäi) ..., wie die Reiter um Kohl, Schäuble, Kinkel, Rühe, SPD-Troikaner und Konzerne sie uns gestalten. Rolf P. Prost, Aachen
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