Der Gemeinderat als Betverein

In Bayern stimmen alle Klischees. Und alles ist möglich. Da beten Politiker zu Beginn der Gemeinderatssitzung. Doch die ersten beginnen, den Schritt in die Gottesgläubigkeit zu bereuen  ■ Von Manfred Otzelberger

Kreuze. Und Marienstatuen. Wer durch das fränkische Poxdorf, 1.500 Einwohner, fährt, kann ihnen nicht entgehen. „Hier geht noch jeder Dritte sonntags in die Kirche“, frohlockt der Ortspfarrer. In dem Dorf nahe Erlangen schreien alle bajuwarischen Klischees gen Himmel.

Klar, daß die CSU alle drei Bürgermeister stellt. Und einen Helden, der als selbsternannter Kämpfer gegen die „Gottlosigkeit“ den frommem Ort allmählich zum Gespött der Republik macht: Josef Schmitt, Gründungsmitglied der CSU, Gemeinderat und Milchviehbauer. Der 65jährige, der auf seinem eigenen Grund und Boden bis zu vier Meter große Kreuze aufzustellen pflegt, verfiel im Mai auf den Einfall, ein Gebet zu Beginn jeder Gemeinderatssitzung zu beantragen. Begründung: Die Sitzungen würden dann „weiser, gerechter und menschlicher“ ablaufen. Mit sieben zu fünf Stimmen ging der Beschluß ein paar Wochen vor dem Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts durch. Beten für Kommunalpolitiker wurde zur Pflicht.

„Herr, unser Gott, steh uns bei bei unserer Beratung und laß uns unsere Entscheidung zum Wohle der Poxdorfer Bevölkerung treffen“, flehte Schmitt vor der letzten Sitzung Anfang dieser Woche. ARD-Fernsehkameras wollte er allerdings diesmal nicht dabei haben: Die Hobbypolitiker verboten sich Aufnahmen der frommen Eiferei. „Das ist die Poxdorfer Demokratie“, höhnte Gemeinderat Joachim Singer über den Fernsehboykott. Er ist der neue Buhmann im Dorf, weil er partout nicht beten will und vorsorglich eine Klage ankündigte. Grund: Der Gebetszwang verstoße gegen die Religionsfreiheit. „Die Grundrechte werden hier mit Füßen getreten; wenn ich beten will, dann tue ich das zu Hause“, meinte Singer, der an der Bigotterie abprallte.

Dreimal wurde über den Beschluß abgestimmt, dreimal boxten sich die Frömmler durch. Emotionen statt Argumente. Als Josef Schmitt sein Anliegen hemdsärmelig vortrug, überschlug sich fast seine Stimme: „Unser Beschluß über die Abhaltung eines Gebets steht wie ein Markstein in der Kommunalpolitik. Es wäre eine Schande, ihn zurückzunehmen.“

Das Gegenteil ist der Fall. Schon allein deshalb, weil im Mai ausgemacht war, daß der Beschluß bei einer Kampfabstimmung niemals umgesetzt werden soll. Schmitt wollte davon später nichts mehr wissen. Bürgermeister Christian Nägel (CSU) bekam Bauchschmerzen. Er empfahl dem Gemeinderat die Entscheidung zu revidieren: „Das Landratsamt hat uns dringend dazu geraten; unser Beschluß ist rechtlich kaum haltbar.“

Die Aufsichtsbehörde, die von einem CSU-Landrat geführt wird, hatte noch in der vergangenen Woche signalisiert, daß der Beschluß der religiösen Starrköpfe bald kassiert wird. Die Beamten bauten den missionarischen Poxdorfern goldene Brücken und empfahlen „ein Zeichen von echter Toleranz, das von einer wahren christlichen Einstellung zeigt“, indem sie anboten, vor und nicht zu Beginn der Sitzung zu beten. „Durch das Gebet vor der Sitzung wird die Verbundenheit zu Gott in gleicher Weise gezeigt wie bei einem Gebet innerhalb der Sitzung. Schon aus Tradition ist es im übrigen üblich, erst zu beten und dann mit der Arbeit zu beginnen. Freiwillig, ohne Teilnahmepflicht“, sollte das Ritual ablaufen. Vergeblich. Der Vermittlungsversuch scheiterte. Der Riß geht jetzt mitten durch die CSU. Ein einmaliger Vorgang.

In der Diskussion, die von Flugblättern der Jungen Union noch angeheizt worden war („Darf zukünftig nur noch im Verborgenen gebetet werden?“), riefen die Gebetsgegner „Scheinheiligkeit“ und bemühten Vergleiche wie: „Das erinnert mich an südamerikanische Fußballer, die sich vor dem Spiel bekreuzigen, um sich nachher auf die Knochen zu hauen.“ Die Befürworter konterten mit Erinnerungen aus der NS-Zeit: „Ich habe als Bub gesehen, wie man die Kreuze wieder in die Schulen zurückgetragen hat, manche haben an die Tafel geschrieben: ,Im Kreuz ist das Heil‘, und riskierten dafür das KZ“, meinte CSU-Aktivist Schmitt.

Aber Gunhild Wiegner, eine Befürtworterin des Betens, bereut mittlerweile den Antrag: „Was ich wollte, nämlich eine Besinnung vor der Sitzung, ist nicht eingetreten, eher das Gegenteil. Die Fronten sind verhärtet.“

Die parteiübergreifende Betfraktion will standhaft bleiben und notfalls für ihre Religionsausübung bis zum Bundesverfassungsgericht gehen. Zur Versöhnung sollen künftig allenfalls besonders unverfängliche Gebete ausgesucht werden. Gunhild Wiegner hatte sich für ein uraltes Bonmot aus dem evangelischen Gesangsbuch entschieden: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Gebetsrebell Singer will das Problem durch Blaumachen lösen. Als der kreuzbrave Schmitt beim letzten Mal das Gebet sprach, verließ er demonstrativ den Saal. Künftig will er erst fünf Minuten nach Sitzungsbeginn erscheinen.