: Scientologen belagern Tagung
■ Anhänger bezeichnen Tagung der Evangelischen Akademie über Jugendsekten in Osteuropa als "Wannseekonferenz". Sie stilisieren sich als Opfer und berufen sich auf die Religionsfreiheit
Die Hausangestellte zuckt deutlich sichtbar zusammen. „Ich bin vom Landeskriminalamt“, sagt der so harmlos aussehende Mann an der Tür, „erschrecken Sie nicht.“ Im idyllisch am Kleinen Wannsee gelegenen Adam-von-Trott-Haus der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg herrscht diese Woche der Ausnahmezustand. Vor der Tür steht ein Polizeiwagen, Journalisten erhalten Auskünfte erst nach eingehender Prüfung des Presseausweises.
„Religion, Demokratie, Jugend – Jugendberatung im Bereich Jugendreligionen und Jugendokkultismus“ lautet der Titel eines Seminars in der Akademie. Bei der Veranstaltung geht es vor allem um den wachsenden Einfluß von Anhängern der Scientology-Sekte in Osteuropa. Als Referent war auch der Scientology-Aussteiger John Atack geladen.
Prompt waren Scientologen bei Tagungsbeginn am vergangenen Freitag zur Stelle, erzählen die Teilnehmer. Gegen ihren Willen seien sie von den Scientologen fotografiert worden. Zu Handgreiflichkeiten sei es gekommen, als sie den ungebetenen Fotografen die Filme entreißen wollten.
Die Tagungsteilnehmer berichten auch, daß die Demonstranten die Veranstaltung als „Wannseekonferenz“ bezeichnet hätten. Schon früher hatte Scientology versucht, durch eine Anzeigenkampagne in den Vereinigten Staaten den Eindruck zu erwecken, die Organisation würde in Deutschland verfolgt wie einst die Juden. Aufklärungsbroschüren wurden mit Karikaturen aus dem Stürmer verglichen. Inzwischen ist die Tonlage zumindest der offiziellen Verlautbarungen weniger schrill. Der Sprecher der Scientology-Kirche Berlin, Hubert Bruttel, meinte, das kirchliche Seminar verletze „die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates“. Um ein „Zeichen für Religionsfreiheit“ zu setzen, kündigte er eine Mahnwache vor dem Adam-von-Trott-Haus an, die von Montag bis heute dauern sollte. Nach Angaben der Seminarteilnahmer hielten jedoch nur am Mittwoch vier Scientologen eine „Mahnwache für Demokratie und Menschenrechte“. Gestern blieb die Tagung unbehelligt. „Für uns ist das nicht weiter schlimm“, meinten die scientologyerfahrenen kirchlichen Sektenbeauftragten bei der Tagung. Für die Gäste aus Osteuropa dagegen sei „das Gefühl, fotografiert und in Dossiers registriert zu werden, sehr schlimm“. Das Landeskriminalamt kündigte an, bei einem neuerlichen Blitzlichtgewitter die Filme zu beschlagnahmen. Juristische Schritte seien aber wenig erfolgversprechend. Auch Scientologen dürfen fotografieren, wen sie wollen. Ralph Bollmann
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