: 17.000 Tonnen Atommüll im Ärmelkanal
Großbritannien versenkte zwischen 1950 und 1963 Atommüll vor der eigenen Küste. Atombehörde bestätigt und ist sich keiner Schuld bewußt. Fischereiministerium hat es genehmigt ■ Von Ralf Sotscheck
Dublin (taz) – Drei Kilometer westlich der britischen Kanalinsel Alderney ruhen 17.000 Tonnen Atommüll im Wasser. An dieser Stelle ist der Ärmelkanal nur 65 bis 165 Meter tief. Der Abfall stammt sowohl aus den Atomkraftwerken der ersten Generation als auch aus dem militärischen Programm wie die Herstellung der Wasserstoffbombe. Ein Sprecher der Londoner Atomenergiebehörde sagte, die Versenkung zwischen 1950 und 1963 sei rechtmäßig gewesen, da die betreffende Stelle innerhalb britischer Hoheitsgewässer liege. Bei dem Abfall habe es sich um leichtradioaktiven Schlamm gehandelt, der zwischen 1950 und 1963 versenkt worden sei. Die Betonbehälter seien beim Absinken planmäßig geborsten, und der Müll habe sich mit den Meeresströmungen aufgelöst.
Die Regierung von Alderney, deren wichtigste Einkommensquelle der Fischfang ist, ist damit jedoch nicht zufrieden. „Ich bin entsetzt und wütend“, sagte Louis Jean, ein Regierungsmitglied, „es muß sofort etwas unternommen werden.“ John Russell von der Transportbehörde der Insel sagte: „Niemand auf der Insel wußte von dieser Müllkippe. Wir müssen äußerst vorsichtig sein.“ Bisher hat man allerdings keine Anzeichen von Strahlung gefunden. Die vor Alderney gefangenen Fische und Hummer werden ohnehin laufend auf Radioaktivität untersucht, weil die riesige Wiederaufbereitungsanlage Cap de la Hague nur rund zwölf Kilometer entfernt liegt.
Die Atomenergiebehörde in London erklärte, man habe die Versenkung des Mülls nie geheimgehalten. Die Internationale Atomenergiebehörde in Wien bestätigte die Angaben der britischen Behörde, daß man über die jährlichen Versenkungsaktionen zwischen 1950 und 1963 Bescheid wußte. Nach 1963, als man sich zum erstenmal Sorgen über die Langzeitfolgen machte, verlegte man die Müllkippe nach Westen in den Atlantik. Ein Gesetz von 1975 schrieb vor, daß radioaktiver Abfall nur in Meerestiefen von mindestens 4.000 Metern endgelagert werden dürfe. 1983 wurde auch das durch die Londoner Konvention zum Schutz der Meere verboten.
Vor kurzem ist jedoch herausgekommen, daß die britische Regierung es mit den Vorschriften nicht so genau nahm: 1981 warf man 2.000 Tonnen radioaktiven Müll 16 Kilometer vor der schottischen Küste einfach über Bord, weil das Schiff in eine Schlechtwetterfront geriet. Der Atomenergiebehörde in Wien teilte man dagegen mit, daß alles planmäßig verlaufen sei. An der Stelle, wo der Müll tatsächlich über Bord ging, ruhen mehr als eine Million Tonnen Sprengstoff und chemische Kampfstoffe, die dort seit 1945 deponiert worden sind. Das Londoner Verteidigungsministerium sagte, die Deponie – sie liegt genau unter der Fährstrecke zwischen Nordirland und Schottland – sei wohl schon seit 1920 genutzt worden. Am Wochenende sind mehr als 200 phosphorhaltige Zünder an schottischen Badestränden angespült worden.
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