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Öffentlich anders sein

■ Die Schwellenängste sind groß, die Unterschiede der Kunstprodukte oft gering - fünf Jahre Sonnenuhr e. V., die Kunstwerkstatt für Behinderte und Nichtbehinderte

Kunst ist unteilbar, so definiert Klaus Erforth, künstlerischer Leiter des Sonnenuhr-Vereins, die Prämisse für seine und seiner MitstreiterInnen Arbeit. Der eingängige Satz ist Statement und Forderung zugleich. Denn die Kunst, für die Erforth ein selbstverständliches Koexistenzrecht einklagt, stammt von geistig Behinderten. Und denen wird die Befähigung nur bedingt zugestanden, sich ohne primär therapeutischen Aspekt über ein kreatives Medium auszudrücken.

Über kunsthandwerkliche Beschäftigungstherapie gehen die Ansätze in traditionellen Einrichtungen selten hinaus. Als Gegengewicht sind in den letzten Jahren in Deutschland jedoch eine Reihe von Freien Werkstätten entstanden, die Behinderten – zumindest in ihrer Freizeit – künstlerische Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Vorreiter und auch international renommiertestes Beispiel für spartenübergreifende Kunstarbeit mit geistig Behinderten und psychisch Gekränkten ist das seit 1986 existierende Blaumeier-Atelier in Bremen.

So alt ist die Berliner „Sonnenuhr“ noch nicht. Aber auch fünf Jahre sind Grund genug, das Erreichte mit einem dreiwöchigen Festival zu feiern. Eine „Landschaft der bunten Vögel“ – so das Motto – präsentiert sich bis zum 5. November in der KulturBrauerei. Trotz der rund 20 Veranstaltungen keine Leistungsschau, sondern eher Angebot zur Auseinandersetzung mit dem Fremden.

Einiges hat sich getan, seit Klaus Erforth und Gisela Höhne, die selbst einen behinderten Sohn haben, 1990 bei einer Matinee im Deutschen Theater ihre Arbeit erstmals vorstellten. Da beide vom Theater kommen – Höhne ist ausgebildete Schauspielerin, Erforth war lange Zeit Regisseur beim DT – lag eine Ausrichtung zur Bühne nahe. Doch Erforth und Höhne nutzten geschickt die Gunst der Nachwendezeit für einen erweiterten Ansatz gleich in der Startphase. Schon ein Jahr später zogen sie, ausgestattet mit einer Reihe ABM-Stellen, in eigene Räume in der KulturBrauerei.

Seitdem bietet die „Werkstatt der Künste für Menschen mit geistiger Behinderung und Andere“ kreative Angebote in allen erdenklichen Bereichen an. „Assistiert“ – wie es im Sonnenuhr-Jargon programmatisch heißt – von ProfikünstlerInnen, kann man mit Farben, Textilien, Holz oder Stein umgehen. Musikalische Angebote gibt es genauso wie Tanz oder Fotografie. 150 Leute verbringen hier einen Teil ihrer Freizeit, davon allerdings ein nur geringer Prozentsatz an Nichtbehinderten. Die Schwellenängste sind noch groß.

„Wir reden nicht über Defizite, sondern über das, was jeder kann. Und jeder kann etwas“, erklärt Erforth das Prinzip. Bei Sonnenuhr geht es nicht um künstlerische Leistung. Den Behinderten soll vielmehr in einem kreativen Freiraum die Möglichkeit zur Entfaltung ihrer eigenen Ausdrucksweisen gegeben werden. Ob die Produkte künstlerischen Kriterien genügen, entscheidet der Betrachter. Der rührige Verein schafft die dazu nötige Öffentlichkeit. Vier große und fünf kleine Ausstellungen veranstaltete Sonnenuhr bisher.

Weiterer Schwerpunkt ist die Theaterarbeit. Zwei Gruppen – in denen nicht nur Behinderte spielen – arbeiten im eigenen Theater im Pferdestall. Als „RambaZamba“ brachten sie bisher vier abendfüllende Produktionen auf die Bühne.

Für das Geburtstagsfestival werden alle Stücke wiederaufgenommen. Die Werkschau ermöglicht, die ästhetische Entwicklung der Gruppe nachzuvollziehen. Waren bei den ersten drei Produktionen noch literarische Vorlagen wie Kafkas „Verwandlung“ Ausgangspunkt für eigene szenische Phantasien, so ist die neueste Produktion „Kkaffee Leben und Tod“ gänzlich selbst entwickelt – und schlägt die anderen Stücke an phantasmagorischer Energie und absurder Skurrilität um Längen. Auch was die Szenenökonomie betrifft, sind die Arbeiten straffer geworden.

Als Neuproduktion hat am 3. November eine Küchenliederrevue („Die Liebe geht durch den Magen“) Premiere, bei der auch professionelle SchauspielerInnen und MusikerInnen mitwirken. Begleitend lesen prominente SchauspielerInnen wie Otto Sander und Angela Winkler. Das Herzstück der Jubiläumsfeier bildet jedoch die Ausstellung „Ich schlage mit den Flügeln“.

Auf mehreren tausend Quadratmetern, über drei Etagen verteilt, erstreckt sie sich in den Räumlichkeiten eines ehemaligen Möbellagers. Was in der hintersten Ecke des ehemaligen Brauereigeländes zu sehen ist, beeindruckt schon allein durch Menge. Über 60 KünstlerInnen sind vertreten. Neben den Sonnenuhr-TeilnehmerInnen, stellen auch erstmals die MonitorInnen der einzelnen Arbeitsgruppen aus, sowie eine respektable Liste wohlklingender Namen aus der etablierten Szene. Von Strawalde bis a. r. Penck.

Auf den ersten Blick sieht das wie eine Goodwill-Aktion seitens der Profis zur Unterstützung einer guten Sache aus. Viele Werke behinderter und unbehinderter KünstlerInnen werden bei einer Benefizauktion am 2. November in den Kammerspielen des Deutschen Theaters versteigert. Doch der Eindruck trügt. In den weitläufigen, unrenovierten Hallen entsteht ein erstaunliches Spannungsfeld zwischen den wohlgesetzten Profiarbeiten und den archaisch- naiven Werken behinderter Künstler.

Da hängen monochrome Bilder in Blau, Rot und Braun des Sonnenuhr-Künstlers Christian Kupsch neben Karl Heinz Hödickes „Taucher“, bei dem aus einem hellblauen Hintergrund zwei schwarze Hände und ein Gesicht emporsteigen. Da stehen filigrane Metallskulpturen neben durchbohrten Holzbalken, auf einer Klanginstallation vibrieren Eier und ein Wal aus Stoffflicken und Tüll hangelt sich auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Kunstgewerbe entlang.

Dazu Photos und Environments – ein mal schwer-, mal leichtgewichtiger Querschnitt der Ausdrucksmittel moderner Kunst. Die Frage, welche der KünstlerInnen denn nun behindert sind, wird schnell obsolet. Völlig unverkrampft treten verschiedene Ausdrucksweisen in Dialog.

Zwischen Farbrausch, naiver Kritzelei und Konzeptkunst steht Karl-Ulrich Iden bei seinem selbstgebauten „Narrenschiff“. „Kuddel“, wie er von allen liebevoll genannt wird, stammt aus der Hamburger Künstlergruppe Schlumper, die einen ähnlichen Ansatz wie Sonnenuhr verfolgt. Er führt den Besucher, von den Dingen des Lebens erzählend, durch sein bis auf den letzten Zentimeter bemaltes Boot. Ein skurriles Gebilde, in dem das Chaos der Ornamente auf wundersame Weise zu einem harmonischen Ganzen zusammenwächst.

Wenn Kuddel gerade Lust hat, singt er beim Rundgang ein Seemannslied. Ein Entertainer und ein Narr ist er. Und manchmal stülpt er sich auch eine Narrenkappe über den Kopf. Hier ist jemand öffentlich anders – nicht als behütetes Objekt, sondern als handelndes Sudjekt mit seiner ganz eigenen Kreativität. Wie viele der bunten Vögel, die auf dem Sonnenuhr-Festival ihre Künste und sich zeigen.

Eine durch einen langfristigen Mitvertrag gesicherte Heimstatt in der KulturBrauerei, Unterstützung von vielen angesehenen Künstlern, die geplante Erweiterung zur ganztägigen Werkstatt – über den Berg ist das Sonnenuhr- Experiment trotzdem noch nicht. Im nächsten Jahr laufen sämtliche ABM-Stellen endgültig aus. Dann muß die Politik Farbe bekennen, wieviel ihr die Andere Kunst wert ist. Gerd Hartmann

Heute ab 18 Uhr: „Das Fest der bunten Vögel“. Kesselhaus der KulturBrauerei, Dimitroff- Ecke Knaackstraße, Prenzlauer Berg, weitere Termine und allgemeine Informationen bei Sonnenuhr e. V., Telefon: 231 70 78

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