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"Wir sind nicht mehr Volkspartei"

■ Die traditionelle SPD-Hausmacht in den Bezirken ist zusammengebrochen: Zahl der Stadträte halbiert, CDU siebenmal mit absoluter Mehrheit. SPD-Bürgermeister hoffen auf "heilsamen Schock"

Für die SPD gibt es Schlimmeres als das Desaster bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus. Härter treffen die Partei die Wahlergebnisse in den Bezirken, wo ihre traditionelle Hausmacht zusammengebrochen ist. Durch die Verfassungsänderug werden zudem die Bezirksämter von sieben auf fünf Stadträte verkleinert. Daher bleiben den Sozialdemokraten von landesweit bisher 60 Stadtratsposten gerade noch 35 übrig.

In sieben Bezirken haben die Genossen nichts mehr zu melden. Die CDU-Bürgermeister von Wilmersdorf, Zehlendorf, Steglitz, Tempelhof und Neukölln verfügen jetzt über absolute Mehrheiten ihrer Partei. Über mehr als die Hälfte der Sitze in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) kann sich die CDU auch in Spandau und Reinickendorf freuen, wo der SPD-Landesvorsitzende Detlef Dzembritzki seinen Bürgermeistersessel räumen muß. Sigurd Hauff, dem bisherigen SPD-Bürgermeister von Spandau, nützt es angesichts der CDU-Dominanz auch wenig, daß er mit 35,6 Prozent das beste SPD-Ergebnis aller Bezirke einfahren konnte.

Innerparteilich werde es in den nächsten Wochen „sehr heftige Diskussionen geben“, prophezeit Hauff. Beide Volksparteien müßten sich „neu besinnen“. So könne die Mitgliederversammlung nicht mehr das Maß aller Dinge sein. Die bislang übliche „Ochsentour“ führe dazu, Leute so lange durch die Parteigremien zu schleifen, bis sie keine innovativen Ideen mehr hätten. Der Verlust der Pfründen in den Bezirken biete vielleicht eine Chance, zu neuen Methoden der Personalauslese zu kommen.

In den übrigen fünf Westbezirken reicht es zumindest rechnerisch für Rot-Grün, wobei die Sozialdemokraten in Kreuzberg und Schöneberg nur noch Juniorpartner sind. In Tiergarten liegen sie knapp vor den Bündnisgrünen, allein in Charlottenburg und Wedding wären sie deutlich stärker. Allerdings sind auch 33,1 Prozent im traditionell roten Wedding nicht gerade ein Traumergebnis, zumal die Wahlbeteiligung weit unter dem Durchschnitt lag. „Nur 15,9 Prozent der Wahlberechtigten haben uns gewählt“, sagt Bezirksbürgermeister Hans Nisblé, „wir sind nicht mehr Volkspartei. Das ist eine katastrophale Wahlniederlage.“ Es sei zu billig, nur auf Bonn zu schauen, denn auch die Profillosigkeit der Berliner SPD sei für das Wahlergebnis verantwortlich. „Bis zum Erbrechen“ sei die falsche Politik der CDU mitgetragen worden. „Wir müssen aufpassen, daß uns der Laden nicht um die Ohren fliegt“, meinte er zum außerordentlichen Landesparteitag der SPD am 7. November, „niemand soll glauben, daß man einfach so weitermachen kann wie bisher.“ Im Wedding will sich Nisblé mit den Stimmen der Bündnisgrünen, die 15,3 Prozent der BVV-Stimmen erzielten, wieder zum Bürgermeister wählen lassen.

Anders sind die Gewichte in Schöneberg verteilt. Dort räumt der bisherige SPD-Bürgermeister Uwe Saager bereits seinen Schreibtisch aus, um einem grünen Nachfolger Platz zu machen. Zwar haben SPD und Bündnisgrüne die gleiche Zahl von Sitzen in der BVV, doch liegen letztere bei den Wählerstimmen mit 27,6 Prozent um ein Zehntelprozent vor den Sozialdemokraten. Über die zukünftige Senatskoaliton solle eine Urabstimmung unter den SPD- Mitgliedern durchgeführt werden. Saage selbst plädiert dafür, in die Opposition zu gehen. Eine Abrechnung mit dem Führungspersonal auf dem Parteitag schließt er aber aus. „Ich sehe niemand, der an der Niederlage unbeteiligt ist.“

Bessere Karten hat Charlottenburgs Bürgermeisterin Monika Wissel. Dort verlor die SPD, wie sie stolz vorrechnet, nur 1,2 Prozent. Als Bündnispartner böten sich rechnerisch gleichfalls die Grünen an. Mit ihnen war freilich wegen des Streits um die Parkplatz-Bebauung an der Leibnizstraße in letzter Zeit „der Kontakt eingeschränkt“, wie Wissel diplomatisch formuliert. Sie ist freilich zuversichtlich, die grünen Stimmen für ihre Wiederwahl zu gewinnen. Das Wahlergebnis empfindet sie als „heilsamen Schock“. Einige Genossen müßten endlich lernen, „daß die Parteiarbeit nicht im Hinterzimmer einer Kneipe stattfindet“. Die oft angemahnte Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Gruppierungen müsse endlich zustande kommen.

Spannend werden die Bürgermeisterwahlen auch im Osten. Die PDS liegt in vielen Bezirken nur knapp neben der absoluten Mehrheit. In Prenzlauer Berg geht SPD- Bürgermeister Manfred Dennert „davon aus, daß ich wiedergewählt werde“. Die Probleme im Bezirk seien vornehmlich Altlasten der SED-Politik und könnten daher nicht von deren Nachfolgepartei gelöst werden. Im Abgeordnetenhaus aber solle die SPD in die Opposition gehen. Die CDU könne dann immer noch mit den Bündnisgrünen koalieren. Ralph Bollmann

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