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The sky is high and so am I Von Mathias Bröckers

Der Leiter der amerikanischen Drogenbehörde, Harry J. Anslinger, ließ von 1937 an die gesamte Jazz- und Swing-Szene beobachten und Dossiers über sie anlegen. Vor dem Kongreß bezeichnete er Jazzmusik als Folgeerscheinung des Marihuanagenusses, den „Neger und Mexikaner und Unterhaltungskünstler“ pflegten. Diese „satanische“ Musik, so Anslinger, würde weiße Frauen dazu bringen, „sexuelle Beziehungen mit Negern einzugehen“.

Dies war nicht nur die fixe Idee eines manischen Drogenkriegers und Rassisten, es war die Leitlinie der offiziellen Politik, der akribisch nachgegangen wurde. Die Anslinger-Akten sind ein Lexikon des klassischen Jazz: Louis Armstrong, Lester Brown, Thelonius Monk, Duke Ellington, Count Basie, Billy Holiday, Dizzy Gillespie, Lionel Hampton... von den Stars bis zu den kleinen Orchestermusikern. Zwar scheiterte sein irrer Plan, die gesamte Szene in einer einzigen Staatsaktion zu verhaften, doch er machte den Musikern die Hölle heiß – bis man ihn als Drogenchef der UNO weglobte.

Einer seiner engsten Mitarbeiter, Dr. James Munch, erklärte 1978 in einem Interview den Jazz- Verfolgungswahn so: „Hauptsächlich beunruhigte sie, daß Marihuana das Zeitgefühl ausdehnt. Die Musiker konnten auf diese Weise besser variieren und mehr Rhythmus in ihre Musik packen... Also, wenn Sie Musiker wären, spielten Sie die Sache so, wie sie auf dem Blatt steht. Wenn Sie aber Marihuana nehmen, bringen Sie zwischen der ersten und der zweiten Note zweimal soviel Musik unter. Genau das taten die Jazzmusiker. Verstehen Sie, sie hatten die Vorstellung, daß sie die Dinge ausjazzen, ausweiten könnten.“ Und das gehört natürlich verboten. Anslinger und die Seinen hätten sich denn auch im Deutschland der dreißiger Jahre sehr viel wohler gefühlt als in New Orleans oder Philadelphia. Während sich hier die selbstbewußte Nation mit alkoholisiertem Humptata zum Marschieren und Morden formierte, schickte sich Anslinger an, der schwarzen Musik den Groove, Swing und Soul auszutreiben – und das „Teufelskraut“, das sie begünstigte, vom Erdball zu eliminieren.

Auf einer CD ist nun eine Sammlung der Stücke erschienen, die den Vater des Drogenkriegs ganz besonders in Rage brachten: Jazz-Songs aus den dreißiger und vierziger Jahren, deren Texte sich explizit mit dem Hanfgenuß befassen. In diesen Stücken von Cab Calloway, Fats Waller, Gene Krupa, Benny Godman, Harry The Hipster, Ella Fitzgerald und vielen anderen wird um den „Reefer“ (Joint) nicht viel Aufhebens gemacht – er war für diese Musik so unverzichtbar wie das Bier beim Oktoberfest. Der Titel der Sammlung, „The sky is high and so am I“, entstammt einem Song von Mezz Mezzrow, der als Klarinettist eher in der zweiten Jazz-Liga angesiedelt war, aber alle Größen stets mit erstklassiger Rauchware versorgte. DJ Double-R, der die 25 Kiff-Kompositionen kompiliert hat, fragt zum Abschluß des informativen Booklets: „HanfTüte und Shoobidoobidoo gegen Knarre & Humptatäterä – zu welcher Tradition zählst Du Dich?“ Für mich, keine Frage, die Platte des Jahres.

The sky is high (& so am I), CD, 73 Minuten Spielzeit, 30 DM (Verlag MedienExperimente, Alte Schmiede, 69488 Löhrbach)

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