: Trüffelschweine an die Front
Hartmut Hennes Vertrag als Intendant des Theaters am Halleschen Ufer wird nicht über Juni 1996 hinaus verlängert. Dabei ist sein Weg der richtige – nur ist er der falsche Mann ■ Von Michaela Schlagenwerth
Er wolle 200.000 Mark mehr Etat haben, drohte der Intendant des Theaters am Halleschen Ufer, Hartmut Henne, in Richtung Kultursenat, andernfalls sehe es schlecht aus für die anstehende Vertragsverlängerung. Das war Anfang August, zur Spielzeiteröffnung, auf der Jahrespressekonferenz.
Der Intendant legte Zahlen vor, die sich sehen lassen können: 50 Prozent mehr Besucher, nämlich über 35.000, hatten im zweiten Jahr seiner Amtszeit den Weg in sein Haus gefunden. Platzausnutzung 67 Prozent, Tendenz steigend. Der Mann hatte allen Grund, sich sicher zu fühlen, und Drohgebärden und Bluff gehören beim Poker um die knappen Kulturgelder nun mal dazu. Aber jetzt ist Henne seinen Job los; und damit hatte wohl kaum jemand gerechnet – am allerwenigsten er selbst.
Sein Vertrag, der am 31. Juni 1996 endet, wurde auf „Empfehlung“ des Kultursenators Ulrich Roloff-Momin nicht verlängert. Man habe seinem Wunsch nach einer Etaterhöhung von 200.000 Mark nicht nachkommen können, lautet die offizielle Begründung des Senats. Die habe er doch in den direkten Verhandlungen letztlich gar nicht gefordert, sagt dagegen Henne. Er habe Angebote gemacht und unter anderem ein Konzept vorgelegt, wie das Haus durch Umstrukturierungen seine Eigeneinnahmen erhöhen könne.
Soviel steht fest: Er wäre gern geblieben. „Ich hänge an dem Haus“, bekennt er freimütig, und nach zwei Jahren Arbeit in der freien Szene ist eines für ihn klar: „In den heimatlichen Hof Staatstheater“ – wo er 22 Jahre seines Lebens verbracht hat – „will ich auf keinen Fall zurück.“
Warum hat man den Mann, der auf eine lange Erfahrung als Betriebsdirektor am Schauspiel Frankfurt am Main zurückblicken kann und aus einem Groschen eine Mark zu machen weiß, nicht halten wollen? Das Problem, so ist von der Referentin für freie Gruppen beim Kultursenat, Barbara Esser, zu erfahren, sind die Pläne, die Henne mit diesem Geld hatte: Sie seien „eine inhaltliche und konzeptionelle Veränderung des Theaters, die der bisherigen Zweckbestimmung zuwiderläuft“ (O-Ton Roloff-Momin).
Henne hat seit Beginn seiner Amtszeit 1993 wiederholt Projektmittel für eigene Produktionen gefordert, beim Kultursenat ist man aber der Ansicht, daß das Theater am Halleschen Ufer nicht als Produktions-, sondern als reine Gastspielstätte für die freien Gruppen Berlins fungieren soll. Nicht zuletzt, weil das Theater seinen Etat von 1.187.000 Mark (160.000 Mark müssen in diesem Jahr selbst dazuverdient werden) aus deren Fördertopf erhält. Seinen Auftrag, so Esser, habe Henne, der zuviel Wert auf Gastspiele und eigene Produktionen lege, zu unterlaufen versucht.
Wie soll man ein Haus ohne eigene Mittel künstlerisch leiten, hält der Intendant dagegen. „Alle positiven Beispiele, wie Kulturhäuser funktionieren, von Kampnagel in Hamburg bis zum TaT und zum Mousonturm in Frankfurt, zeigen, daß eine eigenständige Programmgestaltung nötig ist. Dem Publikum ist es egal, wie etwas zustande kommt, es will ein spannendes, pluralistisches Programm. Ohne eigenes künstlerisches Profil läuft gar nichts.“
Auch wenn man in Berlin sicher kein zweites Hebbel Theater braucht – der noch amtierende Intendant hat zweifellos recht. Mag die Berliner Tanz- und Theaterszene auch beleidigt sein, weil „ihr“ Intendant fremdgeht, mag dieser sich auch nur begrenzt als „Intendant der freien Szene“ verstehen – er legt sich krumm für sie und kann wohl zu Recht sagen: „Ich nehme für mich in Anspruch, soviel Geld in die freie Szene gepumpt zu haben wie nur irgend möglich.“
Ein Schmoren im reinen Berliner Saft wäre fatal gewesen. Der Weg, „das Haus so zu führen, als hätte man Projektmittel, auch wenn keine da sind“ (Henne), war zweifellos der einzig richtige Weg. Ohne die oft international renommierten Gäste von außerhalb – darüber sollte man sich im klaren sein – hätte Henne kaum in dem geschehenen Maß die Aufmerksamkeit der Medien und des Publikums auf sein Haus lenken können.
Das Theater am Halleschen Ufer ist binnen zweier Spielzeiten zu einem Kulturfaktor in der Stadt geworden. Den Muff von zehn Jahren Theatermanufaktur wäre man ohne die Gastspiele von Gruppen mit internationalem Renommee wohl kaum so schnell und so erfolgreich losgeworden.
Auch die Tanzszene, die die Theatermanufaktur ja schon 1991 zum Teil erobert hatte, profitiert von Gastspielreihen wie der internationalen TanzZeit. Erfolgreiche Gastspiele haben nicht nur einen ideellen künstlerischen Wert, sie sind an einem Haus wie dem Theater am Halleschen Ufer auch die beste Publikumsakquise.
Die Vereinbarung, das Haus zu je vierzig Prozent mit freien Berliner Tanz- und Theaterproduktionen und zu zwanzig Prozent mit Gastspielen oder Vermietungen bespielen zu dürfen, die Henne bei seinem Amtsantritt vertraglich ausgehandelt hat, sollte auch in Zukunft unbedingt beibehalten werden.
Doch trotz aller Leistungen und Kompetenzen ist die Entscheidung des Kultursenators, Hennes Vertrag nicht zu verlängern, nicht verkehrt. Nur die genannten Gründe sind falsch. Mit Gerd Taube, dem Intendanten des Puppen- und Figurentheaters Schaubude – das gemeinsam mit dem Theater am Halleschen Ufer und dem Podewil zur Berliner Kultur- und Veranstaltungs GmbH gehört –, habe man gerade einen Vertrag für fünf weitere Jahre abgeschlossen, ist von Esser zu erfahren.
Dem ist gelungen, was Henne sich nicht auf die Fahnen schreiben kann: Er hat die verhärteten Ost- West-Fronten in der Puppen- und Figurentheaterszene aufgelöst und gemeinsame Projekte der verschiedensten Künstler inszeniert. Auch ohne große Projektmittel, so führt das Beispiel Taube vor, kann man künstlerische Leitungstätigkeiten wahrnehmen, ist man alles andere als ein bloßer „Hausmeister“ (Henne). Doch dazu gehören kommunikative und integrative Fähigkeiten, die Henne offenbar abgehen, denn trotz seines Engagements für die freie Szene konnte er das Vertrauen der einzelnen Gruppen nicht gewinnen.
So ist Hennes Entscheidung, seine Frau Winni Victor und deren Theater Rotwelsch zum mittlerweile dritten Mal zu präsentieren, zwar geschäftlich völlig korrekt – schließlich erhält die Truppe Zuwendungen vom Senat –, doch einer produktiven Zusammenarbeit mit anderen Künstlern ist ein solcher Familienbetrieb abträglich. Nur in einer sehr angespannten Atmosphäre kann es dazu kommen, daß Künstler sich bei Mißverständnissen – wie geschehen – direkt beim Kulturreferat beschweren, bevor sie mit Henne Rücksprache halten.
Auch seinem Auftrag, als „Trüffelschwein“ die Berliner Szene zu durchpflügen und künstlerische Talente zu entdecken, kam weniger Henne selbst als seine für den Bereich Tanz und Tanztheater zuständige Mitarbeiterin Gabriele Pestanli nach. Sie hat die Berliner Tanzszene wahrlich durchforscht und ist dabei auch reichlich fündig geworden. In der gerade zu Ende gehenden Berliner TanzZeit konnte sich so mancher abgebrühte professionelle Besucher der Stadt- und Staatstheater verwundert die Augen reiben, denn: In der freien Szene sind wieder Entdeckungen zu machen.
Sasha Waltz, gerade vom Goethe-Institut als deutscher Kulturexportartikel in die USA verschickt und mittlerweile in fast allen Hauptstädten Europas zu Hause, ist nur die Spitze des Eisbergs. An drei Tanzabenden, bestritten von insgesamt sieben Gruppen und Solisten, zeigt Pestanli, wer hier noch folgen könnte.
Beispiel Anna Huber: Nach einem kurzen Auftritt in Berlin vor zwei Jahren und einem Workshop- Showing im vergangenen Jahr hat Hennes Tanzbeauftragte die junge Choreographin mit dem Bühnenbildner Thilo Reuter zusammengebracht und die Produktion „in zwischen räumen“ initiiert. Eine, so die einhellige Meinung, hervorragende Arbeit.
Insgesamt 16.000 Mark hat das Theater am Halleschen Ufer den jungen und noch unbekannten Künstlern, die auf diesem Wege auch die Chance erhielten, ihre Fähigkeiten dem Beirat vorzustellen, an Projektmitteln zur Verfügung gestellt. Ganz ohne eigene Mittel, darüber sollte man sich beim Kultursenat klarwerden, sind eine erfolgreiche künstlerische Arbeit und ein gut funktionierendes Theater eben nicht zu haben.
In einer Vernetzung der Sparten Schauspiel und Tanz sehen Pestanli und Hennes zweite künstlerische Mitarbeiterin, die fürs Schauspiel zuständige Eva Johanna Heldrich, denn auch die Zukunftsperspektive des Hauses. Mit der Spielplangestaltung ihres Chefs sind die beiden im ganzen nicht einverstanden: Er schiele auf Auslastungszahlen, statt die kreativen Möglichkeiten des Hauses wahrzunehmen. Denn, so Heldrich: „Man kann mit sehr geringen Mitteln experimentell und richtungweisend arbeiten, allerdings nur, wenn man sich den entsprechenden Raum dafür freihält.“
Jetzt gilt es, den zukünftigen Kultursenator (oder die Kultursenatorin?) davon zu überzeugen, möglichst schnell die vakante Intendanz neu auszuschreiben. Soll es zu keinen Schließungszeiten kommen, die sich gerade bei einem Leitungswechsel fatal auswirken können, muß die zukünftige Leitung schon zu Beginn des kommenden Jahres feststehen.
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