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Teure Sprak

Die Dringlichkeit der Rechtschreibreform wird überschätzt – und von den Kosten wenig geredet  ■ Von Hans-Martin Gauger

Klar ist, daß gewisse Dinge in der deutschen Rechtschreibung zu reformieren wären: vor allem die unnötig komplizierten Regelungen für Groß- oder Kleinschreibung. Die heutigen Regeln gelten, kaum verändert, seit 1902. Seitdem ist vieles versucht worden, aber mit der Wiener Konferenz, November 1994, wurde es akut. Damals trafen sich auf Einladung Österreichs Wissenschaftler und Beamte aus den deutschsprachigen Staaten, um über eine Neuregelung zu beraten. Dabei wurde ein Vorschlag, der in jahrelanger Zusammenarbeit von Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz erarbeitet wurde, akzeptiert. Dies ist nun gleich – politisch – ein wichtiger Punkt: Die Österreicher und die alemannischen Schweizer sind dabei. Es geht um die überstaatliche Rechtschreibe-Einheit der deutschen Sprache – keine Kleinigkeit. Insofern wäre es schon etwas irritierend, wenn dies Einigungswerk nicht zustande käme. Andererseits wird man den Reformatoren den Vorwurf machen müssen, daß sie das Ganze allzu heimlich ins Werk gesetzt haben. Alles spielte sich unter Germanisten und Beamten der Kultusverwaltungen ab. Die öffentliche Aufmerksamkeit wurde, wohl bewußt, nicht hergestellt. Nun ist sie plötzlich da. Und man fragt sich, weshalb dieses Reformwerk nicht etwa auch in den Landtagen beraten worden ist. Plötzlich haben die deutschen Ministerpräsidenten dies zur „Chefsache“ gemacht.

Sprachwissenschaftler interessieren sich in aller Regel wenig für diese Dinge. Sie wundern sich über den Gefühlsaufwand der öffentlichen Diskussion. Aber eigentlich sollten sie verstehen, wie solche Gemütsbeteiligung zustande kommt. Die Sprachen präsentieren sich eben nun einmal in ihren Schreibungen. Die Schreibung ist auch Mittel der Identifikation, der Selbstvergewisserung. Dies gilt zum Beispiel für die Großschreibung der Substantive im Deutschen. Man hat diese Dinge in früher Kindheit gelernt. Das ist nichts Beliebiges – auch daher die Widerstände. Anderes kommt hinzu. Rechtschreibung ist zum Beispiel auch ein Instrument, Bildung zu zeigen, sich abzusetzen. Insofern wittern humanistisch orientierte Kritiker Weltuntergang, wenn sie hören, daß nun die griechischen Wörter ihr „ph“ verlieren sollten. Übrigens ist es inkonsequent, wenngleich nachvollziehbar, daß man die englischen Fremdwörter von der Eindeutschung in die Schreibung ausgenommen hat. Niemand käme es ja wohl in den Sinn, „action“ mit „äkschn“ wiederzugeben oder „happy“ mit „häppi“ oder „steak“ mit „schteik“. Genauso verfahren aber die Spanier: Sie schreiben „meeting“ als „mitin“ und „whisky“ als „güisqui“. Dergleichen fände bei uns keine Akzeptanz, weil wir gerne zeigen, daß wir Englisch können. Es ist ja auch nichts dagegen zu sagen. Bemerkenswert aber ist die Inkonsequenz, denn was für das Englische gilt, müßte doch, wenngleich, zugegeben, in geringerem Grad, auch für das Griechische und Lateinische gelten ... Und natürlich ist dies ein Verlust. Die Frage kann nur lauten: Ist er zu rechtfertigen?

An sich ist die deutsche Rechtschreibung eine der leichtesten unter den europäischen Sprachen. Noch leichter sind allenfalls die des Spanischen und Italienischen. Entschieden schwieriger aber die des Portugiesischen, Französischen und Englischen. Ein französisches oder ein englischsprachiges Kind muß eine sehr viel größere Anstrengung erbringen, um seine Rechtschreibung zu lernen. Denn bei diesen Sprachen fallen Geschriebenes und Gesprochenes sehr viel weiter auseinander. Insofern wird die Dringlichkeit einer Neuregelung gewaltig überschätzt. Auch bei den Reformatoren ist zu viel Affekt beteiligt. Sie gingen ja auch zu Beginn viel weiter, denn es war an die Einführung der sogenannten „gemäßigten Kleinschreibung“ gedacht, ein ausgesprochenes Mogelwort, denn Ziel war es, alle Wörter klein zu schreiben, außer den Eigennamen und den Wörtern am Satzanfang. Es war undurchsetzbar.

Bemerkenswert ist sodann, daß Erleichterungen, die für das Schreiben geschaffen werden, nicht selten bezahlt werden müssen durch Erschwerungen für das Lesen. Dies läßt sich an der gescheiterten „gemäßigten Kleinschreibung“ besonders schön zeigen. Es geht da nicht nur um bekannte Sätzchen von der Art „Helft den hungrigen vögeln!“, die durch das Mittel der Groß- oder Kleinschreibung vereindeutigt werden können. Die Balance Lesen – Schreiben läßt sich auch zeigen bei einer Reihe von Vorschlägen des jetzigen „kleinen“ Reformpakets.

Vor allem wird immer wieder übersehen, daß Regelungen so oder so sein müssen. Es nützt auf diesem Feld wenig, allzu vieles einfach freizustellen. Man muß in gewissem Sinn immer so sprechen, wie die anderen sprechen, und muß erst recht orthographisch so schreiben, wie die anderen schreiben. Während sich das Politische grundsätzlich mit dem Begriff des Korrekten nicht verträgt, weil es der Bereich ist, in dem die Dinge so oder so sein können, gehört zum Sprachlichen notwendig gerade dieser Begriff. Also: Irgend etwas wird man hier immer lernen müssen, und es wird sich gar nicht vermeiden lassen, daß bei der Beurteilung eines Menschen die mangelhafte Beherrschung der Regeln der Rechtschreibung negativ zu Buche schlägt.

Schließlich muß man bedenken, daß enorme Geldmengen im Spiele sind, und davon wird entschieden zuwenig geredet. Eine solche Reform wird viel kosten: einmal den Steuerzahler, denn bald werden die Schulbücher neu gedruckt werden müssen, zum anderen aber auch die Verlage, von denen einige, wie man hört, schon Riesenvorräte an Büchern mit reformierter Rechtschreibung auf Lager haben. Sie würden bei einem Scheitern zur Makulatur. Auf der anderen Seite ist da aber ein enormes positives Geschäftsinteresse. Es ist nicht absurd, sich vorzustellen, daß rund 30 Millionen Exemplare eines neuen „Duden“ im Falle einer Reform verkauft werden könnten: eine ungeheure Zahl für ein Buch! „Deutsche Sprak, schwere Sprak“, pflegt man ausländerfreundlich zu sagen. Nun wird man sagen müssen, wie immer die Sache ausgeht: „Deutsche Sprak, teure Sprak“.

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