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Strafe statt Hilfe

■ betr.: „Arbeitsunwilligen droht Strafe“, taz vom 20. 10. 95

Das Vorgehen des Landkreises Emsland gegen den Sozialhilfeempfänger, der eine zumutbare Arbeit verweigert hatte, nimmt eine Entwicklung im Sozialhilferecht vorweg, die von der Bundesregierung mit der vorliegenden BSHG-Reform gerade erst geplant ist: Strafe statt Hilfe.

In der bisher geltenden Fassung hat das Sozialhilfegesetz vor allem die Aufgabe, „die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht“ und selbst die Bestimmung, nach der demjenigen die Hilfe gekürzt oder entzogen werden kann, der eine zumutbare Arbeit ablehnt, steht unter dieser Überschrift. Die Kürzung soll ein pädagogisches Mittel sein, den Hilfeempfänger zur Aktivierung seines Selbsthilfepotentials, zum Einsatz seiner Arbeitskraft zu bewegen. Ließ sich in der Vergangenheit über die Qualität und Wirksamkeit dieser Pädagogik immerhin noch streiten, so macht die Haltung des Landkreises Emsland sprachlos, der „gegen arbeitsunwillige Leistungsempfänger vorgehen“ will.

Arbeitslosigkeit und Armut berauben die Betroffenen ihrer Lebensperspektiven und der Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten. Wird eine solche Lebenssituation noch durch andere „Armutsrisiken“ (im beschriebenen Fall ist es Kinderreichtum) verstärkt, ist die Lage schier aussichtslos. Daß Menschen in solchen Lebenssituationen dazu neigen, zu resignieren, ist nachvollziehbar.

„Ein Job bei einem gemeinnützigen Träger in einer Recyclingwerkstatt“ war dem Betroffenen hier angeboten worden. Als Insider vermute ich darin ein befristetes, wahrscheinlich sogar untertariflich bezahltes Arbeitsverhältnis, kaum geeignet, wieder eine (neue) Lebensperspektive aufzubauen. Das solche scheinbaren Hilfeangebote nicht unbedingt auf Begeisterung treffen, sondern oft auf Abwehr, kann ich auch nachvollziehen.

[...] Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik läßt die Betroffenen seit Jahren und zunehmend im Stich. Wenn dann mal jemand im Maßnahmekarussell des sozialpolitischen Jahrmarkts nicht mehr mitspielen will, wenn jemand die Ausgrenzung, die ihm längst widerfahren ist, in seiner Lebenshaltung nachvollzieht und damit der Gesellschaft schlicht den Spiegel vorhält, dann kommt jedoch Empörung auf, und es wird bestraft, wer sich nicht helfen lassen will [...] Klaus Kittler,

Geschäftsführer, Landesarbeits-

gemeinschaft der Arbeitslosen-

projekte für Erwachsene in Nie-

dersachsen, Hannover

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