Ein Konzern steht unter Strom

RWE mit neuem Rekordgewinn und 32 Milliarden Investitionen in den nächsten fünf Jahren – vorerst jedoch nicht in Garzweiler und etwas weniger in NRW  ■ Aus Essen Klaus-Peter Klingelschmitt

Es gibt tatsächlich noch Unternehmen, die in Deutschland exorbitante Gewinne erzielen – trotz der von den Präsidenten aller Unternehmerverbände gebetsmühlenartig vorgetragenen Nachteile des Standorts Deutschland. Die RWE mit Stammsitz in Essen jedenfalls haben im Geschäftsjahr 1994/95 in allen Konzernbereichen, wie der Vorstandsvorsitzende Dietmar Kuhnt gestern auf der Bilanzpressekonferenz betonte, bessere Ergebnisse erzielt als im Vorjahr. Der Konzernumsatz stieg um 14,1 Prozent auf 63,6 Milliarden, der Gewinn gar um 18 Prozent auf etwas mehr als eine Milliarde Mark.

Kuhnt und vor allem auch seine Aktionäre, die im Dezember eine Dividende von stolzen 14 Mark pro Aktie kassieren werden, könnten sich also freuen. Doch Vorstandsvorsitzende von Konzernen verhalten sich gerne wie Bauern – egal ob die Scheunen und Keller nun voll oder leer sind, Lamento in Permanenz ist angesagt. Denn selbstverständlich hätten Umsatz und Ertrag noch sehr viel höher ausfallen können, wenn es in Deutschland nicht die bekannten „Standortnachteile“ gebe: „Zu hohe Arbeitskosten, zu hohe Steuerbelastung, eine zu hohe bürokratische Regelungsdichte und eine zu hohe Staatsquote.“

Geradezu „kontraproduktiv“ selbst für den Umweltschutz sei die von bestimmten Kreisen lancierte ökologische Steuerreform, sagte Kuhnt. Die angedachten „großdimensionierten Fiskalexperimente“ schadeten dem Standortmassiv. Und eine ökologische Steuerreform führe vor allem bei den energieintensiven Branchen „sektoral und regional zu gravierenden negativen Konsequenzen für die Beschäftigung“.

Doch über dem Ruhrgebiet hängen noch schwärzere (politische) Wolken für RWE. Seit SPD und Grüne in NRW regieren, stehe der Braunkohletageabbau im Sektor Garzweiler II offenbar zur Disposition, befürchtete Kuhnt. Die Aussagen von SPD und Bündnisgrünen zum Sektor Garzweiler II seien nach wie vor widersprüchlich. Damit, so Kuhnt mit gehobener Stimme, könne der Konzern nicht länger leben. Und Kuhnt drohte der Landesregierung: „Weitere Schritte, auch unsere Investitionsentscheidungen, werden wir nur auf verläßlicher Basis vornehmen.“ Und das gelte nicht nur für die 4,5 Milliarden Mark für den Tagebau selbst, sondern gleichermaßen für das auf 20 Milliarden Mark veranschlagte Kernkraftwerkserneuerungsprogramm, das von RWE an die Realisierung von Garzweiler II geknüpft wurde.

Rechtzeitig zur Bilanzpressekonferenz lancierte die CDU im Landtag von NRW die Meldung, daß RWE bereits auf Investitionsvorhaben im Ländle von Rau verzichtet habe. Bis zum Jahr 2000 will der Konzern jedoch weltweit wie geplant 32 Milliarden vor allem in Bergbau und Energie investieren, hieß es gestern – ohne die Mittel für „mögliche Arrondierungen von Geschäftsfeldern“, wie die RWE ihre zahlreichen Unternehmensaufkäufe nennt.

An der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“ will der Konzern weiter festhalten. Kuhnt redet der End- und Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente aus den AKW von RWE das Wort. Wie Vorstandsmitglied Wolfgang Ziemann berichtete, habe RWE trotz Vertragsstrafe einen laufenden Wiederaufarbeitungsvertrag mit der britischen BNFL gekündigt.

Doch Ziemann kennt den „Pferdefuß“ der neuen, kostengünstigeren Strategie von RWE bei der „Entsorgung“: Es gibt kein Endlager. Und deshalb wird RWE-Energie weiter Rückstellungen in Milliardenhöhe zum Erhalt der „Entsorgungssicherheit“ und zum eventuellen „Rückbau“ von AKWs in die Jahresbilanzen einstellen müssen. Sehr zum Unmut von Theo Waigel. Der möchte die gewaltigen Zinsen für die gut angelegten Rückstellungen gerne versteuert sehen, weil sie doch für den Konzern eigentlich Kapitalgewinne seien. Kuhnt und Waigel werden sich deshalb demnächst vor dem Kadi wiedersehen.