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Einübung ins Schwarzsehen

■ Wie lebt es sich mit Maschinen? Eine Veranstaltungsreihe zum Thema „Ökologie und Ästhetik“ im Ökowerk Teufelssee

Der Verdacht ist selbst unter Künstlern nicht mehr neu, daß Ästhetik mehr meint als bloße Kunst. Die Konjunktur der Ästhetik in jüngster Zeit hat mit der Entgrenzung ihres Begriffs zu tun. In ihren Zuständigkeitsbereich fallen nämlich auf einmal Fragen wie die nach der Gestaltung unseres Lebens oder unseres Umgangs mit der Natur. Sinn für Angemessenheit scheint dabei die ihr eigene Kompetenz zu sein: Ästhetisch leben heißt irgendwie angemessen leben. Kein Wunder, daß die Schnittstelle von Ökologie und Ästhetik mittlerweile zur Plattform diverser Utopien geworden ist. Öko-Ästhetik heißt die neue Zauberformel für das Versprechen einer besseren Welt.

„Art & Science“, eine vor einem Jahr von Künstlern und Wissenschaftlern gegründete „Internationale Assoziation für politische Ökologie, Kunst und Ästhetik“ hat sich die neue Losung nachgerade programmatisch auf die Fahnen geschrieben. Die erste große Veranstaltungsreihe des noch jungen Vereins geht unter dem Titel „Die Welt ist eine Scheibe“ an diesem Wochenende im Ökowerk Teufelssee in die letzte Runde. Filme, Lesungen, Ausstellungen und Symposien fanden dort in den letzten Tagen um Themen wie „Ökologischer Lebensstil“ oder „Handlungschancen“ statt. Ein ungeheuer ehrgeiziges Projekt, soll dabei doch um eine bessere Zukunft gerungen werden, um eine Aussöhnung von Natur und Technik, von Wissenschaft und Kunst.

Der Fotograf Roland Albrecht, einer der Gründungsmitglieder, hat in seiner Ausstellung „Gerüste des Körpers“ das Pferd indes erst mal von hinten aufgezäumt. Kein Wink zur Versöhnung, sondern ein düsterer Blick auf Technik als Gewalt. Albrecht hat Diaaufnahmen aus einem Gebeinhaus in der Nähe von Prag in der ehemaligen Pumpenhalle des Ökowerks (das früher ein Wasserwerk war) auf deren Wände und Maschinen projiiziert. Die Aufnahmen zeigen kunstvoll aufgetürmte, geometrisch arrangierte Totenschädel, denen zumeist Knochen quer in den Mund gesteckt wurden, mit denen sie grinsend den Betrachter fixieren.

Im Mittelpunkt des Raumes jedoch stehen die schweren Pumpmaschinen und Wasserräder, die sich wuchtig vor die Schädel schieben. Der Effekt ist eine phantastische Verrückung: Die inszenierten Schädel und Skelette werden zu Bausteinen eines Ornaments, das feierlich die Maschinen umrahmt. Die Maschine beherrscht nicht nur das Leben, sondern auch noch den Tod. Aus dem Totenkult wird ein grausiger Maschinenkult.

Aus der Perspektive von Peter Kriegs Filmessay „Maschinenträume“ (1988) jedoch, der am Donnerstag abend gezeigt wurde, erscheint diese Metapher noch nicht düster genug. Die Gerüste der Toten sind viel zu lebendig. Die Gerüste nämlich, von denen Kriegs Maschinenträumer träumt, sind allesamt aus Eisen und Stahl. „Das ist der Körper“, sagt ein japanischer Mitarbeiter aus dem berühmten Roboter-Institut von Massachussetts an einer Stelle im Film und deutet dabei keineswegs auf einen menschlichen Leib, sondern auf ein graues quadratisches Eisengerüst.

„Irgendwann werden die Maschinen unsere Nachfahren sein“, trompetet Marvin Minsky, der Guru der Roboterforschung am M.I.T., begeistert hinterher und liefert damit das Stichwort für die anschließende Diskussion mit dem Soziologen Dietmar Kamper und dem Kulturwissenschaftler Thomas Macho. Die Maschine sei eine Gewalt, aber keine bloß mehr am Leben oder an den Toten, sondern eine, die das Leben selbst beseitigt, indem sie es ersetzt.

Man übte sich an diesem Abend ein wenig im Schwarzsehen und merkte nicht, wie man sich damit den Boden unter den Füßen wegzog. Denn wenn alles nur mehr Maschine ist, gibt's nichts mehr zu gestalten. Öko-Ästhetik, das ist was für Menschen, für Maschinen aber ist das nichts. Andrea Kern

Sa., 17 Uhr: „Gerüste des Körpers“ (Ausstellung); 18 Uhr: Videoprogramm, 20 Uhr: „Blaufieber“ (Film von Gerd Haag und Simone Sitte, 1994); anschließend Vorträge: Wolfgang Müller-Funk, „Die Farbe Blau. Die Anerkennung des Anderen“ und Michael Roes, „Erfahrung der Fremde, Krieg und Tanz im Jemen“

So., 17 Uhr: „Gerüste des Körpers“; 18 Uhr: Videoprogramm; 20 Uhr: „Wissen schaf(f)t Leben“ (szenische Lesung); anschließend Vorträge von Carl Amery, „Unser Vermächtnis für den Umbau der Gesellschaft“ und Hermann Scheer, „Für eine solare Demokratie“. Im Ökowerk, Teufelsseechaussee 22–24, Grunewald.

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