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Todeskitsch am Toten Mann

Die Veteranen toben: Heiner Müller ist wegen despektierlicher Äußerungen unerwünscht bei den Kriegsgedenkfeiern in Verdun  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Ein engagiertes Kleinstadttheater will einen prominenten Dramaturgen einladen, der konservative Bürgermeister will den Künstler wegen unbotmäßiger Äußerungen auf immer bannen. Das Theater protestiert. Der Bürgermeister insistiert. Der Künstler erklärt sich. Das Ganze wäre eine Provinzposse.

Normalerweise. Wenn die Kleinstadt nicht Verdun hieße. Wenn der Künstler nicht Heiner Müller wäre. Und wenn er nicht gewagt hätte, die Denkmäler für die Opfer des Ersten Weltkriegs zu kritisieren.

Auf den Äckern und Feldern an der Maas lieferten sich zwischen Mai und Dezember 1916 Deutsche und Franzosen einen monatelangen Stellungskrieg. Neun Dörfer wurden zerstört. Über 150.000 Soldaten ließen in diesen zehn Monaten ihr Leben.

79 Jahre nach dem Gemetzel in der lothringischen Landschaft bereitet Verdun nun die Gedächtnisveranstaltungen für das nächste Jahr vor. Ein Komitee unter Vorsitz des französischen Ministers für Kriegsveteranen und -opfer, Pierre Pasquini, koordiniert die Aktivitäten. Das Theater der Stadt, „Le Quai“ – ein Verein, der in einem gemeindeeigenen Gebäude arbeitet –, organisiert seinerseits ein Programm für den 80. Jahrestag der Schlacht, für manche immer noch der „Sieg von Verdun“.

„Wir wollen etwas Kulturelles beitragen, das sich an die Menschen von heute richtet“, sagt Theaterchef Laurent Brunner, „wir organisieren keine Umzüge zur Ehrung der Toten, das findet ohnehin jedes Jahr statt.“ Unter anderem will Le Quai 1996 deutsche Regisseure und Dramatiker einladen, darunter Susanne Lincke mit ihrem deutsch-deutschen Stück „Märkische Landschaft“ und Heiner Müller mit dem Stück „Gespenster am Toten Mann“, dessen Titel auf eine der 1916 umkämpften Gefechtsstellungen bei Verdun anspielt.

Die Theater-Zusammenarbeit zwischen Le Quai und Müller ist anvisiert, Müller hat dem französischen Theaterdirektor sein Interesse bestätigt. Ob es tatsächlich klappt, steht noch nicht fest.

Vor einem knappen Monat war Müller drei Tage in Verdun und hat die Soldatenfriedhöfe und -denkmäler besichtigt. Auf die Frage einer Journalistin der Regionalzeitung L'Est Républicain, was er auf den Schlachtfeldern von 400.000 gefallenen Soldaten gefühlt habe, antwortete er: „Die Inszenierung der Orte tötet das Gefühl.“ Er sprach von dem „Kitsch der Denkmäler, die Länder glorifizieren“ (vgl. taz vom 25.10.). Er habe das Gefühl, wird er in dem am 2.Oktober erschienenen Artikel zitiert, daß dieser Kitsch ein „Symptom des schlechten Gewissens“ sei. „Diese Denkmäler sind der Ausdruck einer Kunst für die Toten, einer gigantischen Kunst. Aber das ist sch... Die große Kunst ist die Kunst für die Lebenden.“

Das war zuviel für einige örtliche Honoratioren. Bereits einen Tag nach dem Erscheinen des Artikels schreibt der Präsident der Gedenkvereinigung von Lyon, Oberst Leon Rodier (78), einen bitterbösen Drohbrief an den Vize-Präfekten von Verdun. Als „Citoyen“ und als „Sohn, Neffe und Schwiegersohn von Verdun- Kämpfern“ und als „Kämpfer gegen den Nazismus“ ziehe er sich von dem Vorbereitungskomitee für die Gedächtnisveranstaltungen zurück, wenn Heiner Müller dazu irgendeinen Beitrag liefere.

Am 20. Oktober folgte das Verdikt des Verduner Bürgermeisters, Arsène Lux, einem Mitglied der neogaullistischen Regierungspartei RPR. In einem knappen Brief an den Quai-Direktor schreibt der Bürgermeister, mit seinen „skandalösen Erklärungen“ habe sich Heiner Müller „völlig diskreditiert“, und es sei deswegen „völlig ausgeschlossen“, daß er an den Gedächtnisveranstaltungen teilnehme. Mehr noch: Jedwede weitere Zusammenarbeit zwischen Heiner Müller und der Stadt Verdun sei ab sofort ausgeschlossen.

Natürlich sei es zulässig, die Kriegsdenkmäler „schön oder nicht schön“ zu finden, sagt Lux. Wenn aber jemand in diesem Zusammenhang von „Scheiße“ rede, habe er als kommunaler Verantwortlicher das Recht, einzugreifen. „Das sind doch nicht irgendwelche Denkmäler“, erklärt er der taz, „die ganze Welt hat sich davor verbeugt, einschließlich Kanzler Kohl und dem Präsidenten der Republik. Da muß man bestimmte Vorsichtsmaßnahmen in der Sprache walten lassen.“

Das Quai-Theater sieht das anders. Sein Direktor Brunner spricht von „Zensur“ und will seine Zusammenarbeit mit Müller auf gar keinen Fall aufgeben. Er hat das französische Kulturministerium in die Affäre eingeschaltet und den nationalen Theaterverband „Syndeac“ um Hilfe gebeten. „Wenn der Bürgermeister seine Meinung nicht ändert, müssen wir gehen“, sagt Brunner.

Der Bürgermeister will – „vor allem in einem deutschen Medium“ – nicht weiter „zu der Polemik“ beitragen: „Der Ball ist jetzt im Feld von Heiner Müller.“

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