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In Zukunft ist alles möglich

■ Nach dem Debakel in Berlin geht bei der SPD in den neuen Bundesländern die Existenzangst um. Zusammenarbeit mit der PDS ist kein Tabu mehr

Der SPD-Landesvorsitzende von Thüringen und stellvertretende Ministerpräsident Gert Schuchardt war sichtlich verärgert. Die Thesen enthielten Richtiges und Falsches, insgesamt allerdings „nichts Neues“, erklärte er. Eine Öffnung seiner Partei zur PDS jedoch lehne er entschieden ab. Genau dies allerdings hatten fünf der sechs thüringischen SPD-Bundestagsabgeordeten in der letzten Woche unter der Überschrift „Für eine souveräne SPD“ in einem Diskussionspapier angeregt. Die SPD solle ihren „sektenhaften Moralismus“ überwinden“, heißt es darin, und die PDS „nicht weiter zum Feind zu machen“.

Öffentlich wollen die Autoren des unter der Federführung von Christoph Matschie erstellten Papiers in der Partei ihre Standpunkte jetzt diskutieren. Politische Optionen jenseits der große Koalition sollen dabei „ausdrücklich offengehalten werden“.

„Eine Zusammenarbeit mit der PDS kommt für uns nicht in Frage.“ So beschlossen es die ostdeutschen Landes- und Fraktionsvorsitzenden der SPD im August vergangenen Jahres in der „Dresdener Erklärung“. Doch während in der Bonner Baracke weiter die Parole ausgegeben wird, die PDS sei ein Auslaufmodell, die Ablösung der CDU-geführten Landesregierungen in Erfurt, Dresden und Schwerin mit den Stimmen der PDS nicht erreichbar, geht bei den Sozialdemokraten im Osten nach ihrem Debakel von Berlin die Existenzangst um. Es häufen sich dort die Stimmen, die das Verhältnis der SPD zur PDS überdenken wollen. Das Magdeburger Modell gilt dabei als Vorbild, aber auch eine direkte Zusammenarbeit mit der PDS wird nicht mehr ausgeschlossen, wenn die Grünen als Puffer nicht zur Verfügung stehen.

Selbst der stellvertretende SPD- Parteivorsitzende Wolfgang Thierse kann sich in Bezug auf Zusammenarbeit und Koalitionen mit der PDS inzwischen „vieles vorstellen“. Vor allem jedoch empfiehlt Thierse seiner Partei, ein „gelassenes und offenes Verhältnis“ zur PDS zu entwickeln und sozialdemokratische Identität in den neuen Bundesländern nicht länger in Abrenzung zur PDS zu suchen.

In Mecklenburg-Vorpommern, wo zwischen SPD und PDS bei den Landtagswahlen im letzten Jahr nur sechs Prozent lagen, droht die SPD bei den Wahlen 1998 in der Wählergunst sogar hinter die PDS zurückzufallen. In Schwerin allerdings, wo Landeschef Harald Ringstorff im letzten Herbst mit der PDS Sondierungsgespräche geführt hatte, wird unter den Sozialdemokraten längst offen über das Verhältnis der SPD zur PDS diskutiert. Im sogenannten Warener Kreis haben sich etwa siebzig linke Sozialdemokraten zusammengeschlossen. Dessen Sprecher Rudolf Borchert fordert „spätestens 1998 eine echte Alternative zur Großen Koalition“ zu entwickeln, und sieht auch in der PDS „einen wichtigen Partner für linke Reformkräfte“. Nach Ansicht des Parteiratsvorsitzenden von Mecklenburg-Vorpommern, Siegfried Friese, müsse die SPD zur Zusammenarbeit mit den Demokratischen Sozialisten bereit sein, „wenn sich in der PDS der Reformflügel durchsetzt und mit der Aufarbeitung der stalinistischen Vegangenheit ernst gemacht wird“. So steht es in einem Thesen- papier, das Friese seinem Landesverband zur Diskussion vorlegte.

Am letzten Samstag beschäftigte sich der Landesvorstand der SPD Mecklenburg-Vorpommern mit den Thesen von Friese sowie mit dem Warener Kreis. Er ermutigte die Parteibasis dabei, die innerparteiliche Diskussion fortzusetzen. Für den Fraktionsvorsitzenden der SPD im Schweriner Landtag, Gottfried Timm, kommt es allerdings darauf an, daß sich seine Partei gegenüber der großen Koalition eine härtere Gangart einlegt und so erst mal politisches Profil gewinnt. Denn in dem ersten Jahr der Großen Koalition konnte vor allem CDU-Ministerpräsident Berndt Seite die politischen Akzente setzen. Spekulationen, die Große Koalition im Schweriner Schloß könnte frühzeitig auseinander brechen, weist Timm zurück. 1998 allerdings sei alles möglich. Christoph Seils

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