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„Ein Sumpf, der sich da auftut“

■ Verfahren gegen Polizisten eingestellt – Verfahrensfehler

Zu Beginn der Verhandlung vor dem Amtsgericht sieht alles nach einem simplen Fall von Amtsmißbrauch aus: Ein 43jähriger Polizist mußte sich gestern vor dem Einzelrichter wegen Geheimnisverrat verantworten. Er soll seinem Bekannten, der vom Bundeskriminalamt überwacht wurde, die Kennzeichen der Observationsfahrzeuge verraten haben. Der Polizist war früher Kunde bei dem Kfz-Mechaniker. Eine nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft so enge Beziehung, die den Polizist veranlaßt haben soll, seinem Automechaniker zu außerdem zu stecken, daß sein Telefonanschluß überwacht werde und ihm eine Hausdurchsuchung drohe. In der Tat kümmert sich der Polizist rührend um seinen Bekannten, als dieser Anfang des Jahres zu ihm auf die Wache kommt und sich darüber beklagt, daß er in Polen von mehreren Wagen verfolgt worden sei. Der Polizist recherchierte der Polizist die Halter der Autonummern, die ihm sein Bekannter genannt hat. Er prüft außerdem, ob die Halter vorbestraft sind. Er beruhigt sodann seinen Automechaniker. Die Halter hätten keinen Dreck am Stecken. Die Staatsanwältin runzelt die Stirn. „Das ist doch aber ein bißchen wenig, um festzustellen, daß zum Beispiel Max Müller ungefährlich ist.“ Doch all diese Ungereimtheiten werden im Laufe des Prozesse nicht mehr geklärt. Stattdessen tut sich nach den Worten des „Richters ein Sumpf zwischen den Ämtern auf, in den man bis zur Halskrause versinken kann“.

Auch der Bekannte des Polizisten sitzt wegen Anstiftung zum Geheimnisverrat auf der Anklagebank. Gegen ihn wurde seinerzeit wegen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz ermittelt. Er soll Nuklearmaterial geschmugelt haben. „Das war zur Zeit der Plutonium Affäre, als alle so verrückt waren“, raunt der Richter. Das das Verfahren gegen seinen Mandanten mittlerweile eingestellt worden ist, habe er nur seinem Bekannten, dem Polizisten, zu verdanken, mutmaßt die Staatsanwaltschaft. Als die Zollfahndung die Garage des Kfz-Mechanikers durchsuchte, fanden die Beamten nichts. Der Mann soll den verblüfften Beamten allerdings erklärt haben, er wisse ohnehin, daß er observiert und sein Telefon überwacht werde. Er plauderte den Namen seines Informanten aus. Vor dieser Aussage hätten die Beamten dem Beschuldigten rein rechtlich über den Mund fahren müssen, um ihn ein zweites Mal über seine Rechte zu belehren. Ob sie das getan haben, läßt sich nicht klären. Die Anklage der Staatsanwaltschaft stünde auf tönernen Füßen. „Ich sag' es mal ganz offen“, sagt der Verteidiger des Kfz-Mechanikers. „Die Beiden hier sitzen nur auf der Anklagebank, weil das BKA damals großartig ermittelt hat, und jetzt nichts herausgekommen ist. Deswegen muß jetzt wenigstens irgendwas rauskommen.“ Den vermeintlichen Beweis hierfür zieht er aus seiner Akte. Sein Mandant hatte sich seinerzeit an seine Kanzlei gewandt, als er (von wem auch immer) Wind davon bekommen hatte, daß gegen ihn ermittelt wird. Der Anwalt schrieb an das BKA und bat um Akteneinsicht. Die Antwort des BKA erstaunte den Verteidiger: Es gäbe kein Ermittlungsverfahren und auch keine Durchsuchung, schrieben die Beamten. Wenig später – und das läßt sich anhand der Gerichtsakte rekonstruieren – fragte die Bremer Staatsanwaltschaft beim BKA an. Und siehe da: Die Staatsanwaltschaft erhält vom BKA die Antwort, gegen die betreffende Person werde tatsächlich ermittelt. Der Richter schüttelt wieder ungläubig den Kopf. „Da tut sich ja ein Sumpf auf“, sagt er noch einmal. Doch geklärt wird nichts. „Das wird mehr als einen Tag dauern, wenn wir hier alle Beamten des BKA laden müssen“, sagt der Verteidiger. Er schlägt stattdessen die Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage vor. Der andere Verteidiger ist auch einverstanden. Nach einer Verhandlungspause willigt die Staatsanwältin ein. Der Deal ist perfekt. Der Polizist zahlt eine Geldbuße von 700 Mark, der Kfz-Mechaniker soll 300 Mark an Greenpeace überweisen. Die Abgründe des Sumpfes bleiben im Dunkeln. Der Prozeß endet – bevor er richtig begonnen hat. kes

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