Zehn Stunden auf der Toilette

Ihr Job ist schlecht bezahlt und manchmal ekelhaft. Doch die Toilettenmänner und -frauen sind froh, überhaupt noch Arbeit zu haben. Vollautomatische High-Tech-Klos machen ihnen jetzt Konkurrenz  ■ Von Barbara Nolte

Ein rotbrauner Perserteppich liegt auf dem Boden, die beigen Wände sind mit Fotos von schroffen Berglandschaften geschmückt, auf dem abgewetzten Sofa hat Bettina Meister ihre Beine ausgestreckt. Der 15 Quadratmater große Raum könnte ein Wohnzimmer sein – etwas verwohnt, aber gemütlich. Wäre da nicht immer wieder das laute Gurgeln und Dröhnen von Klospülungen im Hintergrund, das die blonde Frau Mitte Dreißig aufsehen läßt. Erst wenn sie die Groschen auf der Untertasse klingeln hört, wendet sie sich wieder dem Spielcomputer in ihrer Hand zu. Denn darauf aufzupassen, daß die Leute bezahlen, auch das gehört zu ihrem Job in den öffentlichen Toiletten an der Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden. „Viele stehlen sich davon, wenn sie glauben, daß es keiner merkt“, erklärt sie verärgert. „Dabei kostet einmal Pinkeln und Händewaschen gerade mal 50 Pfennig.“ Fünf Meter unter der Erde, im Raum zwischen der Damen- und Herrentoilette sitzt Bettina Meister ihre Zehn-Stunden- Schicht ab. Mit einem Fernseher, einem Computerspiel und einem Buch versucht sie, sich die Langeweile zu vertreiben.

Die zierliche Frau mit den langen strähnigen Haaren ist eine der letzten Klofrauen in Berlins öffentlichen Bedürfnisanstalten. Nur in 35 Toiletten, die die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) verpachtet haben, wacht noch jemand darüber, daß die Klos sauber bleiben. Doch jetzt droht ihnen das Aus. In den nächsten drei Jahren sollen sie abgewickelt werden. Bis Ende 1998 sollen die öffentlichen Toiletten durch privat betriebene Vollautomatikklos ersetzt werden: postmoderne Designertoiletten mit weißem Granitsockel und chromgerahmtem Aufbau aus Milchglas, wie sie jetzt schon auf dem Lehniner Platz oder vor dem Rathaus Friedrichshain stehen. Die High-Tech-Klos sind ein Patent der Spandauer Firma „Wall“. Nach der Benutzung blasen Hochdruckdüsen die Kloschüssel aus, der Boden wird mit Desinfektionsmitteln abgespritzt. In 50 Sekunden ist die Kabine klinisch sauber – ohne daß sich jemand dabei die Finger schmutzig machen muß.

Die High-Tech-Klos haben noch einen Vorteil: Sie kosten die Stadt keinen Pfennig. Denn die Firma Wall betreibt sie auf eigene Rechnung. Im Gegenzug darf sie Werbeflächen aufstellen und vermieten. 30 Millionen Mark hat die Stadt im letzten Jahr für den Betrieb ihrer 289 Bedürfnisanstalten ausgegeben. „Ein Haushaltsposten, der durch die Privatisierung ganz entfällt“, sagt Olaf Wendler von der BSR. Und die Pächter kommen die Stadtreinigung besonders teuer. „Sie werden mit einer Stundenpauschale bezuschußt“, erläutert Wendler, „monatlich kommen da pro Pächter ungefähr 5.000 Mark zusammen.“

Reich werden die Pächter davon trotzdem nicht. Denn neben Steuern und Sozialbeiträgen müssen sie auch Seife, Schrubber und Putzlappen aus eigener Tasche bezahlen. Bei Bernhard Giersch, der die Toilette am Zeughaus gepachtet hat, bleibt so wenig übrig, daß er sich nicht mal eine Aushilfe leisten kann. So verbringt Giersch jeden Tag von 9 bis 18 Uhr in seiner unterirdischen Toilette. Auch samstags und sonntags. „Ich habe seit fünf Jahren keinen Urlaub mehr gemacht“, sagt der Kettenraucher. Sein einziger Lichtblick ist ein 50 Zentimeter großes Guckloch zur Spree. Von hier aus kann er einen Blick auf das unterste Geschoß des Palastes der Republik und auf das Westportal des Doms werfen. Der Mittfünfziger, der schon seit zehn Jahren die Toiletten am Zeughaus säubert, kann sich nicht vorstellen, daß er seinen Job bald verlieren könnte. „Noch habe ich nichts von der BSR gehört“, sagt er zuversichtlich.

Anders bei Bettina Meister: Ihrem Chef schickte die BSR schon mehrmals die Kündigung ins Haus, zuletzt vor drei Monaten. Grund: Die Keller-Toilette Unter den Linden sollte einem U-Bahn-Tunnel weichen. Doch der Bau der U 5 ist wieder einmal verschoben, und die Toilette kann bleiben, vorerst zumindest – aber die Kündigungsfrist der Pachtverträge beträgt nur drei Monate. Dem drohenden Ende sieht Meister mit gemischten Gefühlen entgegen. Obgleich sie schon seit anderthalb Jahren hier aushilft, hat sie ihren Ekel nicht verloren. Mehrmals täglich muß sie von Hand die Fäkalien abpumpen, die sonst überlaufen. Während sie in ein quadratisches, ein Meter tiefes Loch in der Damentoilette mit rostigen, von Wassern überfluteten Rohren auf dem Grund zeigt, erklärt sie: „Wenn sich die Brühe braun färbt, muß ich runter an die Pumpe.“ Besonders aber widert sie das „Bindenfischen“, wie sie es nennt, an. „Klofrau ist man nicht gerne“, sagt sie. Doch es sei immer noch besser, „als von der Sozialhilfe zu leben.“

Auch Marion Foss, Toilettenfrau am S-Bahnhof Alexanderplatz, sieht ihre Arbeit nicht als Berufung. Aber die 62jährige braucht das Geld. Mit den 470 Mark monatlich, die sie für drei Schichten pro Woche bekommt, bessert sie ihre Rente auf. Zwölf Jahre hat die Frau mit dem akkuraten Pagenschnitt im Palast-Hotel die Toiletten gehütet. Als dort nach der Wende die Klofrauen wegrationalisiert wurden, landete sie auf dem Bahnhof. „Am Anfang war das 'ne ganz schöne Umstellung“, sagt sie. Doch mittlerweile können sich ihre Toiletten mit denen einer Nobelabsteige messen: Die weißen Kacheln hat sie glänzend poliert, auf den Trennwänden hat sie Topfpflanzen drapiert. Und unermüdlich sprüht sie mit Lavendelspray gegen den Fäkaliengeruch an.

Im nächsten Sommer ist für Marion Foss Schluß. Wegen der Umbauarbeiten des Bahnhofs wird die Toilette dichtgemacht. Schon jetzt trauert sie ihrer Stelle nach: „Einen so guten Job finde ich so schnell nicht wieder: Ich habe viel mit Menschen zu tun und keiner redet mir rein.“