: Enthaltsamkeit aus Tradition
Frankreichs Frauen entziehen sich der Quotendiskussion ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Wo von Egalité die Rede ist, fällt bald auch das Stichwort Frankreich. Dabei ist das Land im Jahre 206 nach seiner großen Revolution noch immer Welten von der Gleichheit der Geschlechter entfernt. Frauen verdienen grundsätzlich weniger als Männer, besetzen nur jede vierte Spitzenposition in der Wirtschaft und sind im Parlament mit nicht einmal sechs Prozent vertreten. Eine Quotierung oder andere Hilfskonstruktionen zur Frauenförderung indes gibt es nicht. „So etwas“, erklärt eine französische Feministin, „widerspricht unserer Tradition.“
Von der schweren Last der Tradition haben die wenigen Suffragetten der französischen Geschichte eine Menge abgekriegt. Jedes Mal, wenn sich die politischen Verhältnisse in ihrem Land zuspitzten – 1789, dann wieder 1830, 1848 und später im Ersten Weltkrieg –, versuchten sie, das auch für ihr Geschlecht auszunutzen. Die erste von ihnen, Olympe de Gouges, die Verfasserin der Deklaration der Frauenrechte von 1790, endete auf dem Scheiterhaufen. Ihre Nachfolgerinnen blieben, wenn auch mit weniger dramatischem Ausgang, ebenfalls erfolglos. Erst 1944, lange nach seinen europäischen Nachbarn, führte Frankreich auf Druck der Frauen in den Widerstandsbewegungen gegen die Nazis das Frauenstimmrecht ein. Am 29.April 1945 durften 53 Prozent der Bevölkerung erstmals an die Urnen. Ein halbes Jahrhundert danach sorgte der ehemalige sozialistische Präsident François Mitterrand dafür, daß erstmals einer Frau wegen eigener Verdienste Einlaß in den Heldentempel der Republik gewährt wurde. Am 8.März 1995 wurden in einem Staatsakt die Überreste der Atomforscherin Marie Curie in das Pantheon gebracht.
Über die Französinnen von heute vermerken die Statistiken, daß sie häufiger berufstätig sind als die meisten ihrer europäischen Nachbarinnen und gleichzeitig mehr Kinder in die Welt setzen als Deutsche, Spanierinnen, Griechinnen, Portugiesinnen und Italienerinnen. Natürlich haben sie auch einige prominente Figuren vorzuweisen. An erster Stelle Edith Cresson, die den Sprung nach ganz oben machte und 1991 erste Premierministerin Frankreichs wurde. Außer der zupackenden Cresson hatten die Sozialisten noch eine Handvoll weiterer erfolgreicher Frauen in ihren Reihen – von denen einige den Weg bis an die Spitze eines Ministeriums schafften. Eine von ihnen, Martine Aubry, wird heute, da sie in der Opposition ist, sogar als mögliche Kandidatin für die nächste Staatspräsidentschaft gehandelt.
Einen entschieden höheren Frauenanteil hat die neue konservative Regierung: Zwölf Frauen sind im Kabinett, allerdings hat nur eine von ihnen – Gesundheitsministerin Elisabeth Hubert – einen Spitzenposten. Alle anderen stehen in der zweiten Reihe.
Ein Blick in die Statistiken der Eliteschule ENA, deren AbgängerInnen Frankreichs politische und administrative Elite stellen, zeigt, daß die Auslese schon ganz früh anfängt: Nur 20 Prozent Frauen studieren an der ENA. An anderen Eliteschulen ist der Frauenanteil noch geringer. Im vergangenen Jahr fragte die Frauenzeitschrift Marie Claire Politikerinnen verschiedener Couleur nach ihrem Werdegang. Alle berichteten von den Schwierigkeiten, die sie in der Auseinandersetzung mit ihren männlichen Kollegen haben – von machistischen Sprüchen, Seilschaften und uralten Vorurteilen. Sie alle haben erlebt, daß es weiterhin heißt: „Er hat sich geirrt“, wenn einem Politiker ein Fehler unterläuft, und: „Sie ist eine Frau“, wenn eine Politikerin den Fehler macht.
Doch trotz ihrer geringen Repräsentanz an den Schaltstellen der Macht haben die Französinnen die Konfrontation bis heute stärker vermieden als Frauen in anderen Ländern. Das Wort „Feministin“ hat in Frankreich einen unangenehmen Klang, und die Frauenbewegung ist nie besonders stark gewesen. Die Diskussion über Quoten und Gleichstellungsbeauftragte blieb in Frankreich marginal. In den achtziger Jahren besiegelte der Oberste Gerichtshof diese Traditionstreue: Eine Frauenquote, so beschied das Tribunal, widerspricht der Verfassung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen