■ Erster Präsidenten-Wahlgang in Polen: Die Anti-Wahl
Die Präsidentschaftswahl in Polen ist das klassische Beispiel einer „Anti-Wahl“. Die Walesa-Gegner stimmten für Kwasniewski, die Kwasniewski-Gegner für Walesa.
Das Erstaunliche an dieser Wahl ist das offensichtliche Unvermögen der ehemaligen Solidarność-Intellektuellen, ein neues politisches Lager herauszubilden, das die alten, aus der Zeit des Kampfes der Solidarność gegen die Realsozialisten stammenden Fronten hätte durchbrechen können. Zu viele Kandidaten nahmen sich gegenseitig die Stimmen weg. Der Versuch, zu keinem wichtigen Kandidaten eine echte Gegenposition zu beziehen, muß als endgültig gescheitert angesehen werden.
Der große Verlierer ist Jacek Kuron und mit ihm das Experiment, die Lager aufzulösen, eine neue Koalition zu bilden und damit die Linke Polens um eine zeitgemäße, sozialdemokratische Programmatik herum zu organisieren. Wie schon Tadeusz Mazowiecki vor fünf Jahren trat Kuron mit einem positiven Wahlprogramm an. Seine künftige Rolle als Präsident verstand er zugleich als Mittler zwischen den überkommenen „Rechts-Links“-Schemata und als Alternative zu beiden Lagern. Erst kurz vor den Wahlen wurde Kuron klar, daß er, gemessen an der Konfrontation Walesa–Kwasniewski, als apolitischer Kandidat erschien, daß sein „Profil“ kaum noch wahrgenommen wurde. Verzweifelt versuchte er daraufhin, drei Wochen vor den Wahlen das Ruder noch einmal herumzuwerfen, sich als Anti-Walesa zu präsentieren. Dieser Versuch kam zu spät.
Und auch dem bürgerlich-liberalen Lager, das die Kandidatur der Notenbankpräsidentin Hanna Gronkiewicz-Waltz unterstützte, gelang es nicht, die Anti- Stimmung im Lande aufzubrechen. Im Gegenteil: Ihr dezidiertes Auftreten gegen Kwasniewski, der seine Karriere in der Zeit des Kriegsrechtes in Polen auf Seiten der regierenden, der polnischen Vereinigten Arbeiterpartei gemacht hatte, kam letztlich Walesa zugute. Die sich betont katholisch gebende Kandidatin wirkte in ihren Wahlkampfauftritten zwar medienerprobt, zugleich aber wie ein politisch unbeschriebenes Blatt. Was sie ja auch ist.
Das Urteil der WählerInnen war eindeutig. Im Zweifel stimmten sie für die bekannten Charaktere und Gesichter, für zwei hartgesottene Profis des politischen Geschäfts. Sie wählte zwei Symbole, die das überkommene Rechts-Links-Schema in Polen versinnbildlichen. Gabriele Lesser, Warschau
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