„Geschultes Personal für die Sexualität“

■ Beim erotischen Kontakt liegt der aktive Part bei den Betreuern. Wolfgang Groh sieht das größte Problem darin, daß der Behinderte nicht das bekommt, was er eigentlich möchte

Wolfgang Groh ist Geschäftsführer der Interessengemeinschaft für Behinderte (IFB) in Wiesbaden. Der Verein bietet den bundesweit ersten Körperkontaktservice (KKS) für Körperbehinderte an.

taz: Wie wird man Sexanbieter für Behinderte?

Wolfgang Groh: Als Pfleger und auch als Heimleiter war ich ständig mit dem Thema Sexualität konfrontiert. Ich kann aber auch keinem Behinderten eine Frau oder einen Mann backen, mit dem oder der es eine tolle Beziehung gibt. Es gibt nur Hilfestellungen und Notlösungen. Der eigentliche Auslöser für den Körperkontaktservice war, daß vor anderthalb Jahren ein Zuhälter einen Behinderten ausgeraubt hat.

Wie denn das?

Behinderte werden auf Wunsch zu Prostituierten gefahren, von dort hat der Zuhälter wohl einen Tip bekommen. Aber es geht im Rotlichtmilieu sowieso nur ums Geld. Ich weiß, wie lange es dauert, einen Spastiker ruhig zu bekommen. Wenn ich dann nach drei Minuten gerufen werde, um den Behinderten wieder anzuziehen, ist das einfach über den Tisch gezogen. Mit dem KKS bieten wir geschultes Personal, um Sexualität auszuleben.

Dafür übernehmen Sie die Verantwortung?

Auch wenn ich eine Krankengymnastin zu einem Behinderten schicke, bin ich für eventuelle Folgen verantwortlich. Es besteht immer das Risiko, daß Fehler passieren oder Betroffene die IFB angreifen. Wir sichern uns jedoch ab, indem wir von vornherein die Betreuer mit einbeziehen. Und wenn wir feststellen, daß es sich um einen geistig Behinderten handelt, werden wir nicht tätig.

Geistig Behinderte lehnen Sie als KlientInnen ab?

Ja, ich kann mir nur eine Ausnahme vorstellen: wenn der Arzt aufgrund des Krankheitsbildes sagt, daß eine regelmäßige sexuelle Entlastung wichtig ist. Dann muß er aber auch die Verantwortung übernehmen.

Wie haben Sie sich rechtlich abgesichert?

Fragen dieser Art ärgern mich am meisten. Es kann doch keine gesetzliche Hürde geben, einem behinderten Menschen zu seinem Menschsein zu verhelfen! Ich kann mir nicht im entferntesten vorstellen, daß es für jemand zum Nachteil sein kann, wenn er seine Sexualität ausleben kann. Falls jemand mit den sexuellen Erfahrungen nicht zurechtkommt, bieten wir psychologische Hilfe an. Aber ich würde trotzdem immer wieder befürworten, daß „Sensis“ da ist, weil der Behinderte Erfahrungen macht, die ihm als Mensch einfach zustehen.

Sie sehen kein Risiko?

Doch. Meine größte Angst ist, daß ein Behinderter nicht das bekommt, was er eigentlich möchte. Wenn also ein KKS-Mitarbeiter das Geld nimmt, aber nur mit ihm Kaffee trinkt.

Ist nicht wahrscheinlich, daß sich Behinderte an „Sensis“-MitarbeiterInnen klammern?

Gerade Schwerstbehinderte bauen sich schnell Traumwelten und verdrängen, daß sie einen Service angefordert haben. Das muß durch psychologische Betreuung und Supervision der Mitarbeiter rechtzeitig erkannt werden. Dann findet entweder ein klärendes Gespräch mit dem Behinderten statt, oder der Mitarbeiter muß ausgetauscht werden. Wir bieten über alle auftretenden Probleme Gespräche an, auch mit den Partnern der Mitarbeiter. Wenn sich wirklich eine Beziehung zu einem Klienten aufbaut, kann derjenige natürlich nicht mehr über „Sensis“ angefordert werden, dann ist es seine Privatsache.

Werden auch Wünsche nach gleichgeschlechtlichem Sex und ungewöhnlichen sexuellen Praktiken befriedigt?

Einem Homosexuellen kann ich doch keine Frau schicken, schon allein, weil er dann die angestrebte sexuelle Befriedigung nicht bekommt. Aber wir haben mit Menschen zu tun, die ihre Sexualität bisher so gut wie nie ausleben konnten. Viele Behinderte wissen doch gar nicht, wie das ist, gestreichelt zu werden. Von ihnen wird, glaube ich, keiner einen besonderen Kick benötigen. Es kommt viel häufiger vor, daß der aktivere Part mehr bei den Mitarbeitern liegt. Sie machen Vorschläge und führen die Dreiviertelstunde.

Überwiegen die Schmähbriefe oder das Lob für Ihren Service?

Weder noch! Zwar haben sich die Medien auf das Thema gestürzt, aber weder von der Öffentlichkeit noch von den Behindertenverbänden habe ich eine Rückmeldung bekommen. Vermutlich warten alle erst mal ab, wie es bei uns weitergeht.