Ein Knigge für das britische Unterhaus

■ Abgeordnete müssen ihre Einkommen teilweise offenlegen

Man könne von einer „Kulturrevolution in Westminster“ sprechen, sagten viele Tory-Abgeordnete mit langen Gesichtern am Montag abend. Das britische Unterhaus hatte soeben für einen parlamentarischen Verhaltenskodex gestimmt, der einer Radikalkur gleichkommt. Die wichtigsten Punkte: Abgeordnete dürfen nicht mehr für private Lobbyfirmen arbeiten und müssen Einkünfte aus Tätigkeiten offenlegen, die in direktem Zusammenhang mit ihrer Position als Parlamentarier zusammenhängen. Die Labour Party feierte die Verabschiedung ihres Antrags mit immerhin 51 Stimmen Mehrheit als „Triumph des Volkswillens“.

Sie verdankt ihn allerdings mindestens einem Dutzend Tory–Abgeordneten, die mit der Opposition gestimmt haben. Für Premierminister John Major war das Ergebnis eine persönliche Niederlage: Zwar hatte er keinen Fraktionszwang verhängt, jedoch seinen Hinterbänklern dringend angeraten, gegen den Labour-Antrag zu stimmen. Eingebrockt hat er sich die Sache allerdings selbst.

Um das Schmuddelimage loszuwerden, das den Tory-Abgeordneten seit der Enthüllung einer Kette von Korruptionsskandalen anhaftete, setzte Major im vergangenen Jahr einen unabhängigen Untersuchungsausschuß unter Leitung Lord Nolans ein. Freilich hatte er nicht damit gerechnet, daß Nolan dem Parlament einen umfassenden Knigge verordnen würde. Doch im Mai legte Nolan 55 Vorschläge zur Imageverbesserung vor, die bei den Tory–Hinterbänklern für helle Aufregung sorgten.

Major ist ein mißliches Wahlkampfthema los

Um eine parteiinterne Revolte zu verhindern, setzte Major geschwind noch einen parlamentarischen Ausschuß ein – diesmal aber unter Tory–Kontrolle. Der empfahl zwar auch, die Nebentätigkeit für Lobbyfirmen zu verbieten, aber die Beratungs- und Vorstandshonorare für Abgeordnete sollten weiterhin geheim bleiben. Dem hat die Labour Party mit ihrem Antrag nun einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Es ist ein guter Tag für den Ruf des Parlaments“, sagte Ann Taylor vom Labour-Schattenkabinett, „und ein furchtbarer Tag für John Majors Ruf.“

Dabei kann der Premierminister eigentlich recht zufrieden sein. Wäre der Labour-Antrag abgelehnt worden, hätte man der Opposition damit ein kolossales Wahlkampfthema beschert. So ist die Sache vom Tisch, ohne daß sich Major bei seinen Hinterbänklern allzu unbeliebt gemacht hätte. Sie können ihm höchstens Naivität vorwerfen, weil er geglaubt hatte, daß Nolan höchstens ein wenig Abgeordnetenschelte betreiben würde.

Ein Tugendwächter für die Parlamentarier

Ob die Resolution umgesetzt wird, ist jedoch eine andere Frage. Sie hat keinen gesetzlichen Status, und wer dagegen verstößt, kann schlimmstenfalls aus dem Parlamentsgebäude geworfen werden. Das mag für eine ganze Reihe Tory-Abgeordneter jedoch die mildere Strafe sein: Diejenigen, die bei den nächsten Wahlen ohnehin nicht mit ihrer Wiederwahl rechnen können, wollen vermutlich nicht auch noch die Aufmerksamkeit auf ihre stattlichen Schmiergelder lenken.

Darüber hinaus gibt es eine ausgedehnte Grauzone: Die Abgeordneten müssen bis Ende März ihr Zusatzeinkommen, das auf ihrer parlamentarischen Tätigkeit beruht, offenbaren. Bis dahin haben sie Zeit, ihre Verhältnisse neu zu ordnen.

Wer wollte zum Beispiel nachweisen, daß ein Abgeordneter einen Beratervertrag mit einer Firma nur deshalb bekommen hat, weil er Abgeordneter ist – und nicht, weil er als Jurist oder Ökonom über besonderes Fachwissen verfügt. In diesem Fall ginge sein Einkommen die Öffenlichkeit nichts an.

Gordon Downey, ein 67jähriger früherer Regierungsbeamter, ist jetzt nicht zu beneiden: Er ist am Montag zum parlamentarischen Tugendwächter ernannt worden und muß nun künftig für die Einhaltung der Resolution sorgen. Ralf Sotscheck