: Ladenhüter Ladenschluß
■ Der Kanzler segnete gestern eine Neufassung des Ladenschlußgesetzes ab. Jetzt bockt die CDU-Fraktion
Bonn (taz) – Eigentlich schien gestern morgen alles entschieden: Die Koalitionsrunde hat sich auf neue Ladenschlußzeiten geeinigt, die Mitte 1996 in Kraft treten sollen. Da auch Kanzler Kohl zu den Teilnehmern dieser Runde zählte, erschien die Zustimmung der Fraktionen reine Formsache: werktags werden die Geschäfte von 6 bis 20 Uhr und samstags von 6 bis 16 Uhr geöffnet sein. Die Bundesländer haben die Möglichkeit, die Samstagsöffnungszeiten in der Zeit zwischen 14 und 18 Uhr flexibel zu gestalten. Der Sonntag bleibt einkaufsfrei. Die Händler sollen das Recht haben, die Öffnungszeiten untereinander abzusprechen. Bäcker dürfen auch sonntags Brötchen backen und verkaufen können. Alles klar?
Weit gefehlt. Während die FDP den Vorgaben der Koalitionsspitze einstimmig folgte – schließlich entsprachen sie weitestgehend denjenigen, die Minister Rexrodt vor einigen Tagen bereits als Ergebnis angekündigt hatte –, gab es bei der Union Knatsch. So ist die gestern verkündete Einigung über das neue Ladenschlußgesetz letztlich immer noch keine.
Nach heftigen Auseinandersetzungen haben die Unionsabgeordneten gestern auf Vorschlag von Fraktionschef Wolfgang Schäuble die Abstimmung über die Veränderung des Ladenschlusses verschoben und den Koalitionsbeschluß lediglich zur Kenntnis genommen. Vor allem die Vertreter des Mittelstandes wehrten sich in der Sitzung gegen den Einigungsvorschlag, berichteten Teilnehmer. Einige sollen die längeren Öffnungszeiten an den Samstagen kritisiert haben, andere den Zeitpunkt der Gesetzesinitiative. Sie befürchteten, daß sich dies nachteilig auf die Landtagswahlen im März auswirken könnte. Mehrere Abgeordnete sollen unter starkem Beifall eine Neuordnung der Ladenschlußzeiten für vollkommen überflüssig erklärt haben. Die Sozialpolitiker in der Union haben dem Einigungsvorschlag nicht widersprochen.
Nun will die Unionsfraktion demnächst noch einmal ausführlich über das Thema diskutieren. Die Bundesregierung wurde ausdrücklich aufgefordert, den entsprechenden Gesetzentwurf, der für Ende Dezember geplant war, erst nach ausführlichen Erörterungen in der Fraktion vorzulegen. „Es gibt in meiner Fraktion einfach noch Beratungsbedarf“, erklärte Bundesarbeitsminister Norbert Blüm später vor der Presse. Mit bitterer Miene bezeichnete er die in der Koalitionsrunde getroffene Vereinbarung als „Versuch, in zwei Extremen eine Lösung zu finden“.
Blüm, dem eigentlich die Federführung für die Änderung der Ladenschlußzeiten obliegt, hielt sich weitgehend bedeckt. Wohingegen Wirtschaftsminister Günter Rexrodt, der seinem Amtskollegen das Zepter in dieser Angelegenheit zunehmend aus der Hand genommen hatte, seiner Freude kaum noch bremsen konnte. Für ihn ist die Einigung in der Koalitionsrunde ein klarer Erfolg der FDP. Er sprach von „einer wegweisenden Weichenstellung“ und einem „Durchbruch, für den die FDP so lange gekämpft hat“.
Ungeachtet der Unklarheiten haben Gewerkschaften gegen das Vorhaben protestiert. Die DAG befürchtet eine einschneidende Verschlechterung der Arbeitszeitlage der Beschäftigten. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Engelen- Kefer hält längere Einkaufszeiten nicht für nötig. Die Kirchen schließlich warnen vor einer „scheibchenweisen“ Aufhebung des Unterschieds zwischen Sonntag und Werktag. Karin Nink Siehe auch Seite 4
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