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Digitale Butterfahrten

„xs4all“? Gegenkultur, Unternehmer und Behörden konkurrierten in Luxemburg um das Gesicht von „Telepolis“, der digitalen Stadt der Zukunft  ■ Von Jochen Becker

Mit dem ICE nach Frankfurt/Main, im IC rheinabwärts bis Koblenz, per Stadtexpreß entlang der Moselwindungen nach Trier, mit dem Schienenbus bis zum Bahnhof Luxemburg und dann noch die Linie 18 durchs dunkle Städtchen hinauf zum Messe- und Kongreßgelände auf dem Kirchberg-Plateau: Die „Telepolis“ liegt fernab. Angesiedelt zwischen EU-Institutionen, technoiden Hotels mit rustikalen Bars, festungsartig ausgebauten deutschen Banken für Vermögenssteuerflüchtige, dem silbrigen Glaspalast der RTL-Dachgesellschaft CLT und einem noch im Bau befindlichen Stadtteilzentrum gleich neben dem künftigen Autobahnknoten. Hinter benachbarten Hügelketten landen die Jets der per Fax und E-Mail geladenen Redner aus Berlin und New York, München und Tokio, während sich vor der Tür der Besucherparkplatz allmählich füllt.

Der Eingangsbereich zur „Telepolis“-Messe über interaktive und vernetzte Städte ist von Ständen der deutschen und Luxemburger Telekom eingekeilt, dahinter stapeln sich auf dem Büchertisch Publikationen über Non-Print-Medien. Hier stehen ein bildschirmgestützter Werbestand für Burdas Focus, die gutfrequentierte Bar und ein mobiler Geldautomat. Im kojenartig organisierten Ausstellungsbereich trifft man auf weitgehend spielerische Medienkunst – von der elektronischen Bildergalerie über das Steinzeit-Interface eines verfremdeten Schreibcomputers bis zum per kollektiver Internet-Kontrolle ausgebrüteten Ei. Dazwischen haben das Burda- Netzwerk „Europe Online“ neben Ständen für Astra-Satelliten und CLT-Multi-Media ebenfalls Platz gefunden; zudem wirbt die halbstaatliche Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung mbH mit „elektronischen Laufmappen“ für die Bundesdatenautobahn Bonn–Berlin.

Neben dem Luxemburger Goethe-Institut, diversen Siemens-Abteilungen und dem Münchner Medienlabor hatte die „Burda Akademie zum Dritten Jahrtausend“ zur Eröffnungstagung über „Die Zukunft der Städte im Zeichen von Cyberspace“ geladen. Schließlich wird doch von hier aus Burdas neuer Netzdienst „Europe Online“ starten. Verleger Hubert Burda rief seine launigen Begrüßungsworte gegen einen Schwall aus Rückkopplungsgeräuschen direkt in den Saal, während im Hintergrund die Techniker herumirrten. Hier zeigt sich aufs schönste, wie sich unter dem neuen Label „Telepolis“ europäischer Medienverbund, Techno-Kunst-Hype und Computerjungs-Busineß konkret formieren.

Kongreßorganisator Florian Rötzer möchte mit „Telepolis“ „dezentrierte Stadtentwicklungen legimitieren“ und den Cyberspace als „neuen Lebensraum“ erobern. Die wuchernde Suburbanität der Moderne, wie sie sich vor Ort entlang des Boulevards Konrad Adenauer bis zum Messegelände erstreckt, ist dem im Großherzogtum Luxemburg geborenen Architekten Leon Krier – zeitgleich Gastkommentator in Focus – allerdings herzhaft zuwider.

Gegen raumfressende Sprawler, Sky- oder Landscraper setzt der im gepflegten Landadeldreß auftretende Herr Verdichtungen innerhalb fußläufiger Zonen. Seine in Schönschreibschrift und mit Buntstiften ausgemalten Siedlungsmodelle aus dem Musterbuch des 19. Jahrhunderts bieten im Zeitalter der Global Cities und multinationaler Firmennetze allenfalls pittoreske Kulissen. Für „Telepolis“ war dies kein Gewinn, und auch die Vorträge der Architekten Daniel Libeskind (Dia- Overkill) und Ken Sakamura (Promo-Videos für Roboter und Überwachungs-Chipkarten) gerieten zu Butterfahrten in eigener Sache.

Anders als seine Vorredner lebte Bernd Zabel bereits wie auf dem Mars. Während seiner Teilnahme am „Biosphäre 2“-Projekt hing er am Netz. Nachrichten und Briefe drangen als elektronische Datenpakete in seine Kapsel ein. Zwar gab es unter der luftdichten Hightech-Kuppel eine gutsortierte Bibliothek, doch fehlte der Supermarkt für Butter oder Ketchup. Nach fünf Monaten in der computerisierten und wie ein U-Boot verrohrten Raumkapsel „Biosphäre 2“ war Bernd Zabel als deren technischer Leiter jedenfalls erleichtert, als er wieder in die Wüste von Arizona entlassen wurde.

Vermißte hatte er in seiner elektronischen Einsamkeit die mimischen Kommunikationsaspekte, welche bei Bildschirmverkehr verlorengehen. Da seit Beginn der Kuppelplanung ein Termin für Marsflüge weiterhin in den Sternen steht, erscheinen angesichts magerer Forschungserkenntnisse die jährlichen Kosten von über 20 Millionen Mark horrend. Nun wird „Biosphäre 2“ als Touristenattraktion vermarktet, ist doch deren ölmilliardenreicher Finanzier zudem mit 20 Prozent Aktien an Disneyparks beteiligt.

Neben Ökohäusern, intelligenten Städten oder fraktalen Neuro- Strukturen hatte auch die Kritik ihren Platz. So mahnte die Stadtplanungsforscherin Saskia Sassen, daß sich trotz räumlicher Zerstreuung im Netz kapitale Zentralitäten herausbilden. Ihr Kollege Manual Castells sieht in diesen Global Cities nicht nur die jeweiligen Orte; der industrielle Raum bildet sich aus den Glasfaserverbindungen zwischen Forschung und Entwicklung, Produktion und Konsumtion. Castells Vortrag endete mit einem Plädoyer für lokale Mobilisierung: 30.000 E-Mails für Subcomandante Marcos erreichten die mexikanische Regierung innerhalb weniger Tage als Protest gegen das erneute Einschreiten der Armee.

Für die seit kurzem emporsprießenden digitalen beziehungsweise internationalen Städte gehört lokales Handeln zum Selbstverständnis. Nach zwei Tagen Frontalunterricht in der Burda- Akademie sitzen Netzwerkinitiativen aus zehn Städten am runden Tisch, während Krawattenträger aus der dritten Reihe eifrig mitschreiben. „xs4all“ (Zugang für alle) nennt sich ein niederländisches Netz, das eng verknüpft ist mit Amsterdams „De Digitale Stad“ (DDS). Hier sollen alle (die Computer, Modem plus Telefon besitzen und der niederländischen Schrift mächtig sind) am städtischen Gemeinwesen teilhaben können und ein Heim (Homepage) gründen. Zum Quatschen trifft man sich auf dem Bildschirm, erledigt Amtsbesuche per Tastatur und wird per Knopfdruck Teil einer virtuellen Gemeinschaft.

„Den Bürgern Tasten zum Kommunizieren anbieten“, lautete die Interpretation eines Nachahmers aus Bremen. Während die DDS-Betreiber aus Hacker- und Häuserkampfbewegungen hervorgegangen sind, entwickelt sich in der Hansestadt ein kreuzbraves Projekt zur Entlastung städtischer Behörden. Die computerbegeisterten Kollegen aus dem Ruhrgebiet – ebenfalls mit Forschungseinrichtungen kurzgeschlossen – wollen mittels „YouthTech“ Jugendliche an Technik heranführen oder Arbeitslosen irgendwie helfen.

So klaffte dann gegen Ende des Treffens eine spürbare Lücke zwischen gegenkulturellen Projekten und kommunalem Bürgerservice, die den gewünschten Verbund von zumeist noch im Aufbau befindlichen Stadtnetzen in Frage stellt.

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