: Giftiger als Straßenkreuzungen
■ Wohngifte: Vorbeugen ist der beste Schutz, doch die Frage bleibt, wie man das macht
„Wohnen im Sondermüll?- Nein danke!“ titelte im Frühjahr das Verbraucher Telegramm. Meldungen über Innenraumgifte gehören zum Alltag: Asbest, Formaldehyd, Lindan, Pyrethoide, Mineralfasern. Die Geister, die wir riefen zum Schutz vor Kälte, Ungeziefer, Entflammbarkeit und Schimmel und zur problemloseren Verarbeitung und Pflege – wir werden sie nur schwer wieder los.
„Die Schadstoffbelastung in Innenräumen hat insgesamt zugenommen“, weiß Umweltberaterin Sybille Ahrens, manche Zimmer seien giftiger “als vielbefahrene Straßenkreuzungen“. Verbraucherverbände, Behörden und Forschungsinstitute warnen vor immer neuen Substanzen mit unaussprechlichen Namen und empfehlen eventuell noch, “eigenverantwortlich“ mit dem Teufelszeug umzugehen. Aber wie? Informationen darüber, wie Wohngifte zu vermeiden oder zu vermindern sind, wie man sie aufspürt, wie durch sie verursachte Krankheiten festgestellt und behandelt werden können, sind selten und oft wiedersprüchlich.
Ahrens setz auf konsequentes Vorbeugen. Pestizide hätten in Wohnräumen nichts zu suchen: “Richtiges Lüften und Heizen ist eine viel einfachere Methode, um beispielsweise Schimmelpilze zu vermeiden.“ Ist das Gift erst im Zimmer, wird man es nur schwer wieder los, denn leider reicht es nicht, den PVC-Boden, der jahrelang Weichmacher ausgaste, zu entfernen. Das Gift ist meist längst von Tapeten oder unbehandelten Holzmöbeln aufgenommen worden und verpestet weiterhin die Luft.
Vorbeugen kann man mit „sehr kritischem Nachfragen“, rät Sybille Ahrens. Sie empfiehlt, beim Kauf eines Teppichs oder Möbelstücks eine Deklaration der Behandlungs- und Zusatzstoffe vom Hersteller zu verlangen, “auch wenn es mal drei bis vier Wochen dauert“. Die Industrie sperrt sich nach wie vor gegen eine Deklarationspflicht, wegen des „Produktionsgeheimisses“. Freiwillige Deklarationen sind zwar besser als gar keine, aber mit Vorsicht zu genießen, wenn sie negativ formuliert sind: Eine Spanplatte „frei von Formaldehyd“ ist nicht gesünder, wenn sie statt dessen Isocyanate als Ersatzstoff enthält. Und die Vorsilben „Bio“ und „Öko“ können ungeschützt zu Marketingzwecken verwendet werden.
Bei Verdacht auf durch Wohngifte verursachte Krankheiten führt die Umweltambulanz der kassenärztlichen Vereinigung Hamburg eine kostenlose Begutachtung durch, die der behandelnde Arzt befürworten muß. Im Interesse sowohl von VerbraucherInnen als auch der Kassen wäre es, wenn es erst gar nicht so weit käme, sagt Renate Hillig von der AOK Hamburg: “Aber der Gesundheitsgedanke steht zu weit im Hintergrund.“
In Bremen gibt es noch keine Kooperationsverträge zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und der Umweltambulanz. Einzelne Kassen aber, beispielsweise die Techniker und die DAK, übernehmen auch hier bis zu 500 Mark für eine Analyse. Deren Kosten beziffert Umweltingenieur Frank Trenkner, der die Umweltambulanz in Bremen vertritt, auf durchschnittlich 600 Mark. Wer Interesse an einer Begutachtung seiner Wohnung hat, kann sich bei ihm beraten lassen (Tel.: 3966633). Keine persönliche Beratung, aber Informationen über Wohngifte bietet auch die Verbraucherberatung (Am Wall 121).
Marlene Reimers
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