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■ Diskussion der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“: Wo mit den Veränderungen beginnen, wenn nicht hier?Edel und erfolglos retten wir nichts

Eine Woche nach ihrem Erscheinen wurde der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ von Ralf Berger vom Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) als „Technokratenmärchen“ entlarvt. Berger, der die Studie nur in einer Zusammenfassung kennt, erwies sich nicht nur als „ungefragt und kritisch“, sondern auch als schlecht informiert. So konstruiert er das Märchen vom unbeugsamen BUKO und den konformistischen Technokraten.

Der Vorwurf einiger BUKO- Vertreter, die Studie sei geprägt von deutschnationalem Sendungsbewußtsein („Am deutschen Ökowesen soll die Welt genesen“) wurde von Ralf Berger nicht wieder erhoben. Inzwischen hat sich wohl herumgesprochen, daß es sich bei der Studie keinesfalls um eine rein deutsche Angelegenheit handelt. Für diejenigen, die die Studie noch nicht gelesen haben und sich trotzdem „ungefragt und kritisch“ dazu äußern möchten, hier einige wichtige Hintergrundinformationen: Die Studie geht ursprünglich auf einen Aktionsplan der holländischen Sektion der „Freunde der Erde“ zurück. Sustainable Netherlands wurde 1992 auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro der Öffentlichkeit präsentiert. Die Studie, in der endlich einmal aufgezeigt wurde, wie eine zukunftsfähige, nachhaltige Entwicklung konkret aussehen könnte, war so erfolgreich, daß sich viele Mitgliedsorganisationen der „Freunde der Erde“ in Ost und West, Nord und Süd entschieden, eine ähnliche Untersuchung für ihr Land zu machen. Mit einer Pilotstudie Sustainable Europe wurde der methodische Grundstein für eine Inventarisierung der Zukunftsfähigkeit in allen Ländern Europas gelegt. Heute laufen 35 europäische Projekte von Albanien bis Zypern. In Deutschland gelang es den „Freunden der Erde“ (dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, BUND), eine große entwicklungspolitische Organisation (Misereor) und das renommierte Wuppertal-Institut für das Projekt zu gewinnen.

Im Rahmen des globalen Projekts Sustainable Society organisiert das Netzwerk „Freunde der Erde“ den Nord-Süd-Dialog mit seinen Gruppen unter anderem aus Indonesien, Ghana, Brasilien, Uruguay, Senegal und Indien. Ziel dieses Dialogs ist es, das Modell zu ergänzen. Dieser extrem aufwendige Prozeß wird zur Zeit vor allem von der niederländischen Regierung unterstützt. Die Bundesregierung hat bisher keinerlei Interesse an diesem Vorgang erkennen lassen.

Die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ ist also ein (bewußt deutscher) Beitrag eines umfassenden internationalen Diskussionsprozesses, in dem jedes Land in globaler Verantwortung seine Position vertritt. Dies verlangt gute Leute und gutes Geld, ist aber leider weit weniger populär und profitabel wie zum Beispiel die Besetzung einer Ölplattform. Warum unternehmen der BUND, Misereor und das Wuppertal-Institut und viele andere Organisationen in der Welt diese Anstrengungen? Ganz einfach: Weil die Regierungen nicht machen, was eigentlich ihre Aufgabe wäre. Irgendeiner muß sich doch überlegen, wie es in einer Welt weitergeht, in der weniger als ein Viertel der Weltbevölkerung drei Viertel der Ressourcen dieser Erde verbraucht.

Wer Veränderung nicht nur fordern, sondern durchsetzen will, muß einen breiten Konsens anstreben. Für eine gerechte und umweltverträgliche Entwicklung sollte nicht auf die Weltrevolution gewartet werden. Denn so sehr die meisten Freunde der Erde die herrschenden Interessen, Besitzverhältnisse und Herrschaftsformen in Frage stellen, so wenig erlauben uns die Zustände auf diesem Planeten, auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens zur unverzüglichen Umsetzung von Überlebensstrategien zu verzichten. Die Argumente des BUKO sind nicht neu. Sie begleiten uns seit der Entstehung der modernen Umweltbewegung. Einen weiteren fruchtlosen Streit der Ideologien (à la Bariloche-Studie contra Meadows-Studie anno 1972) können wir uns jedoch nicht mehr leisten! Wenn man über den „Erfahrungsschatz jahrzehntelangen Widerstandes“ verfügt (Berger über Berger?) sollte man wissen, wo er am wirksamsten eingesetzt wird und wo Kompromisse mehr Erfolg versprechen. Einsam, edel und erfolglos retten wir nichts.

Die Umsetzung einer auf die Bundesrepublik beschränkten ökosozialen Marktwirtschaft wäre, da hat Berger recht, zum Scheitern verurteilt. „Die ,Musik‘ wird im weltmarktorientierten Wirtschaftsfaktor gemacht.“ Deswegen der internationale Ansatz. Was hindert uns jedoch daran, für Deutschland einen notwendigen Beitrag zu entwickeln? Wo soll denn mit den Veränderungen begonnen werden, wenn nicht dort, wo Ressourcenverschwendung und das Waldsterben zu Hause sind? Im übrigen ist eine zentrale Maßnahme wie die ökologische Steuerreform beileibe nicht nur ein nationales Thema. Gerade hier wäre eigentlich eine Unterstützung durch den BUKO angemessen gewesen. Wenn es nämlich wahr ist, daß die Musik im Welthandel gespielt wird, daß die „Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse von Ländern des Nordens über Länder des Südens“ durch die ungleichen Handelsbeziehungen verursacht werden, müssen diese Beziehungen sich ändern. Genau dieser Effekt – die Reduzierung des Rohstoffexports zugunsten eines limitierten Stoffstroms verarbeiteter Güter und Dienstleistungen – wäre die Folge einer Ressorcen- und Energiebesteuerung. Erst die geringen Transportkosten ermöglichen die Entkopplung von Produktion und Verbrauch und machen eine gesellschaftliche Regulation so gut wie unmöglich. Das führt zu den bekannten fatalen Auswüchsen des Welthandels.

Wenn Ralf Berger den „Niedergang der sozialen Bewegung“ beklagt, so kann er damit höchstens den kränkelnden BUKO gemeint haben. Obwohl sich einige regierungsunabhängige Kollegen neuerdings gerne mit der amtsdeutschen Bezeichnung Nichtregierungsorganisationen (NROs) titulieren, so gibt es sie dennoch, die soziale Bewegung. Angesichts der Passivität der Regierungen ist es nun an den Gewerkschaften, den Umweltverbänden, den Wissenschaftlervereinigungen und den entwicklungspolitischen Gruppen inklusive der Parteien, Kirchen und Industrieverbände, Überlebensstrategien zu entwerfen – und zwar jetzt! Und wenn der BUKO bessere Konzepte hätte, die auf breiteren Konsens stießen, wären wir die letzten, die auf der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ als Diskussionsgrundlage beharrten. Philipp Schepelmann

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