: "Shell-Boykott wäre absurd"
■ Rainer Winzenried, Sprecher der deutschen Shell, bestreitet politische Einflußmöglichkeiten des Konzerns. Trotz des Todesurteils gegen Saro-Wiwa will Shell Nigeria weiter "helfen"
taz: Shell ist der größte Ölproduzent in Nigeria. Wird sich der Konzern nach der Hinrichtung von Ken Saro-Wiwa und acht weiteren Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten aus dem Land zurückziehen?
Winzenried: Shell wird sich nicht aus Nigeria zurückziehen.
Warum nicht?
Das Unternehmen hat in Nigeria auch Verpflichtungen gegenüber den dort lebenden Menschen und Beschäftigten.
Sehen Sie Shell denn gar nicht als politisch handelnd an?
Nein. Shell ist keine politische Firma. Es ist auch mit den Unternehmensgrundsätzen nicht vereinbar, daß sich Shell in Politik einmischt. Daran sind wir gebunden. Und es ist ja auch so: Heute wird von Shell ein bestimmtes politisches Handeln gefordert, und morgen wird der Gesellschaft dasselbe Verhalten möglicherweise um die Ohren gehauen. Ein privates, internationales Unternehmen kann und darf nicht in staatliche Angelegenheiten eingreifen.
Sie meinen also, daß Politik und Privatwirtschaft in jedem Fall getrennt betrachtet werden müssen – egal welche Zustände in einem Land herrschen?
Ein Unternehmen hat keine Möglichkeiten, politisch aktiv zu werden. Und das darf es auch nicht. Kein Staat würde das zulassen. Das wäre hier in Deutschland nicht anders.
Shell aber ist ja nicht irgendein Unternehmen. Der Bruttoumsatz des Gesamtkonzerns betrug im letzten Jahr 129 Milliarden Dollar, das ist dreimal so viel wie die gesamte Wirtschaftsleistung Nigerias. Wenn Sie sagen würden: So geht es aber nicht, hätte Ihr Wort ein großes Gewicht.
Shell ist in Nigeria sehr aktiv. Wir unterstützen Gemeindeprogramme, für die wir jährlich mehr als 20 Millionen Dollar freiwillig ausgeben. Schulen, Gesundheitsfürsorge und Landwirtschaftshilfe werden finanziert. Es wird ein riesiges Investitionsprogramm durchgezogen in einer Größenordnung von 159 Millionen Dollar in diesem Jahr und von 314 Millionen im kommenden Jahr – umweltbezogene Ausgaben. Diese Dinge kommen dem Land zugute. Nigeria gehört zu den ärmsten Ländern der Welt mit einem enormen Bevölkerungsdruck. Die Bevölkerung wächst jährlich um drei Prozent. Die Folge sind unter anderem unkontrollierte Waldrodungen und intensive Landwirtschaft. Immerhin beschäftigt Shell ja auch rund 5.000 Leute direkt und 25.000 indirekt in Vertragsfirmen. Das kann man nicht einfach mit einem Federstrich beseitigen.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker demonstriert gerade vor Ihrem Haus und macht Shell mitverantwortlich für die Ereignisse in Nigeria. Im Sommer, als es um die Versenkung der Ölplattform Brent Spar ging und Umweltschützer erfolgreich gegen die Versenkung protestierten, reagierten Sie mit einer Anzeigenkampagne: „Wir werden uns ändern. Wer lernt hat Zukunft.“ Was lernen Sie aus der jetzigen Situation?
Ich habe eben auf die Leistung von Shell in Nigeria hingewiesen. Wir tätigen Millioneninvestitionen und geben erhebliche Mittel für Hilfsprogramme aus. Das ist etwas, was weit über das hinausgeht, was Firmen sonst tun.
Fürchten Sie nicht, daß es erneut Boykottaufrufe gegen Shell geben wird?
Also ein Boykott gegen Shell wäre falsch, ungerecht und fast schon absurd. Denn Shell hat in Nigeria keine Rolle gespielt bei der Gefangennahme und dem Todesurteil gegen Saro-Wiwa. Im Gegenteil: Der Vorsitzende der Royal-Dutch-Shell-Gruppe hat an die Regierung von Nigeria appelliert, Gnade walten zu lassen.
Aber Shell hat keine Konsequenzen angedroht?
Da kann ich aus Sicht der deutschen Shell nichts dazu sagen. Shell hat in Nigeria schon viel dazu beigetragen, daß vieles gelindert wird, was ohne unser Dazutun viel schlimmer wäre. Es wäre absurd, irgendwie gegen Shell vorgehen zu wollen. Dafür gibt es keinerlei Grundlage.
Die Weltbank hat sich am Wochenende offenbar als Reaktion auf die Todesurteile aus dem Bau einer 3,6 Milliarden Dollar teuren Gasverflüssigungsanlage zurückgezogen. Shell will sich an dem Projekt mit 24 Prozent beteiligen. Halten Sie die Politik der Weltbank für irrational?
Wir respektieren natürlich das, was die Weltbank entscheidet. Das Projekt ist auch sowieso erst einmal verschoben worden. Ich will aber betonen, daß das Gasprojekt helfen wird, daß das Begleitgas bei der Ölförderung nicht mehr in hohem Maße abgefackelt wird wie bisher. Es wird somit ein Beitrag dafür sein, daß sich umweltmäßig vieles bessert.
Noch einmal zurück zum Boykott gegen Shell im letzten Sommer wegen der Brent Spar: Wieviel hat den Konzern der Verbraucherprotest gekostet?
Die Bilanzen für dieses Jahr sind noch nicht gezogen. Der Geschäftsbericht wird erst am 31. 12. erstellt. Interview: Annette Jensen
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