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Bremen braucht das ISP

■ Bremer Finanzpolitik unter Sanierungsbedingungen Von Dr. Patrick Wendisch, Dipl.Wirtschaftsingenieur und promovierter Finanzwissenschaftler, finanzpolitischer Sprecher der AFB-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft

I. Die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen (Art. 115 GG)

Ein Bundesland muß die ihm obliegenden Staatsaufgaben erfüllen und erfüllen können. Durch die Verschuldung des Landes und die Auftürmung einer verfassungsrechtlich unzulässigen Verschuldung zur Finanzierung von konsumtiven Ausgaben war der finanzpo- litische Handlungsspielraum Bremens erschöpft. Aufgrund dieser Situation kam das Bundesverfassungsgericht konsequenterweise zu dem für Bremen positiven Urteil, in dessen Folge der Bund sich zu Sonder-Bundesergänzungszuweisungen (BEZ) in Höhe von 1,8 Mrd. DM jährlich für fünf Jahre verpflichtet hat.

II. Der Kern des Investitionssonderprogramms (ISP)

Der Bund knüpfte an seine Sanierungsmilliarden jedoch Bedingungen. Die Sanierungshilfen in Höhe von 1,8 Mrd. DM führen zu rechnerischen Zinseinsparungen. Diese müssen in öffentliche Infrastruktur und in Projekte zur Verbesserung der Standortfaktoren investiert werden, damit Bremen wieder ein bedeutend attraktiverer Wirtschaftsstandort wird und dauerhaft bleibt. Durch die daraus erzielten stärkeren Steuerrückflüsse wäre die Überlebensfähigkeit des Landes gesichert. Dies ist der Kern des Sanierungsprogramms. Wer den Mechanismus dieses Programms: konsumtiv sparen und investiv expandieren, in Frage stellt, stellt das Programm selbst in Frage und damit den Konsens mit dem Bund zur Erhaltung des Bundeslandes Bremen. Das Sanierungsprogramm ist vertraglich verbindlich zwischen Bremen und Bonn geregelt. Deshalb ist die erste Kernforderung der AFB: Kein Lamentieren an den Rezepten des Sanierungsprogramms.

III. Sanierungsgerechtes Handeln kontra Parteiengezänk

Das Sanierungsprogramm war - im übertragenen Sinne - zugleich Geburtshelfer der AFB. Bis dato waren politische Einzelinteressen wichtiger, anstatt das Überleben des eigenen Bundeslandes zu sichern. Motor für eine Sanierungskoalition war kein Wahlkampfschlagwort der AFB, sondern die Forderung an die neue Regierung, ihre Partei- und Klientelinteressen zurückzustellen, um das Ganze zu retten. Leider tritt in der großen Koalition das Parteiengezänk offen zutage. Die SPD möchte für ihre Klientel angeblich schmerzhafte Einschnitte in die Leistungshaushalte verhindern. Es wird versucht, den konsumtiven Haushalt gegen das ISP auszuspielen: äSchulbücher statt Hemelinger Tunnel.ô Wer so spricht, hat nichts verstanden.

Die CDU ist nicht besser als die SPD. Der neue Schwung wird zugunsten des Koalitionsfriedens geopfert, im übrigen wird Klientelpolitik betrieben, auch bei der Diskussion um das ISP.

IV. Solides Haushalten

Jeder Bürger weiß, daß er aus seinem laufenden Einkommen die laufenden Ausgaben bezahlen muß: Miete, Kleidung, Strom, Lebensmittel, Urlaub, etc. Für größere dauerhafte Anschaffungen kann und darf er sich verschulden, z.B. für eine Eigentumswohung, für ein Haus über die Aufnahme einer Hypothek. Der Senat wäre gut beraten, wenn er sich in Zukunft genauso verhielte.

Die ökonomische Rationalität gibt doch deutlich vor, wie knappe Mittel bewirtschaftet werden müssen: Knappe Steuereinahmen müssen zu einer besonders knappen konsumtiven Verwendung für öffentliche Leistungen führen. Exakt so muß es sich beim ISP und generell bei den investiven Ausgaben des Haushaltes verhalten.

Die erste Sanierungsmark des ISP-Finanzierungsrahmens muß für dasjenige Projekt aus- gegeben werden, welches die größte Wirtschaftskraftsteigerung und damit Steuerkraftsteigerung ergibt. Die erste Mark erzeugt insofern den größten Grenznutzen für Bremen und die letzte Mark den geringsten Grenznutzen.Exakt an dieser Vorgabe muß sich die Präferenzrangfolge der ISP-Projekte orientieren.

Praxis ist allerdings, daß sich die ISP-Projekte in der großen Koalition an den Wahlkampfaussagen und der eigenen Klientel orientieren: Jeder meldet zum ISP Projekte an, die seiner Klientel dienen. Das ISP ist mit Anmeldungen überzeichnet. Und dann werden im Abzählreim die Projekte geschoben. Streiche ich dein Projekt, streichst du mein Projekt. Hemelinger Tunnel wird mit Linie 4 kompensiert. Auf diese Art und Weise läßt sich Bremen nicht retten. Dringend erforderlich ist eine Prioritätenliste der ISP-Projekte, geordnet nach der steuerkraftsteigernden Wirkung. So wäre beispielsweise der Bau der Messehallen auf der Bürgerweide ein Projekt, das die Wirtschafts- und Steuerkraft stärken würde. Vorsichtige Berechnungen ergeben, daß durch Investitionskosten in Höhe von 125 Mio. DM (netto), ca. 200 Mio. DM jährlich an Kaufkraft in Bremen verbleiben und bis zu 1.500 neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.

V. Sanierung ist mehr als bloße Entschuldung

Mit dem ISP wird nicht, was einige glauben machen wollen, in irrreale Wachstumsdimensionen hineingeplant. Vielmehr holen wir mit dem ISP die mangelnden Wachstumsinvestitionen nach, die in den 70er und 80er Jahren eklatant vernachläßigt wurden. Es kann überhaupt kein Zweifel darüber bestehen, daß die Finanzschwäche Bremens aus der Abkopplung des wirtschaftlichen Wachstums vom Bundesdurchschnitt in den letzten 15 Jahren resultiert. Die Ursache dieser Wachstumsschwäche liegt in den seinerzeit nicht getätigten Investitionen. Diese lagen regelmäßig unter dem Durchschnitt der Länder und Gemeinden.

Viele Maßnahmen, die heute im ISP stehen, tätigen andere Kommunen seit langer Zeit aus ihren Grundinvestitionen. Dieses ist die bittere Wahrheit und verdeutlicht das immense strukturelle Investitionsdefizit der bremischen Haushalte. Deshalb ist das eigentliche Gift für die Sanierung Bremens der Versuch, die aktuellen Einnahmeverluste durch eine Plünderung der ISP-Mittel abzudecken. Unsere Steuerkraftschwäche würde wegen des mangelnden Sparwillens für die Zukunft weiter zementiert. Allein aus dem Grundinvestitionsprogramm (GIP) kann der Nachholbedarf gegenüber den anderen Bundesländern nicht aufgeholt werden. Im Gegenteil: Die Investitionsquote des Landes würde ohne das ISP unter 10% absinken. Und das vor dem Hintergrund, daß aus dem GIP substanzerhaltende Investitionsmaßnahmen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Inneres und Kultur getätigt werden müssen, die kaum steuerkraftstärkend wirken.

Das ISP-Volumen darf auch nicht, wie Hickel, Fücks und andere es versuchen, durch die verbleibende Restverschuldungsfähigkeit des Landes bestimmt werden. Sie muß dem entsprechen, was mindestens zum Aufholen der vergangenen Wachstums- und Investitionsdefizite notwendig ist. Das ist rechnerisch erheblich mehr, als das geplante ISP- Volumen von insgesamt 4,8 Mrd. DM. Die Position: „Welche ISP-Projekte können wir uns leisten, ohne rigoros bei konsumtiven Ausgaben sparen zu müssen“, ist falsch und stellt die eigentliche Luftnummer der gegenwärtigen Diskussion dar.

Das ISP zu finanzieren ist nicht davon abhängig, ob wir eine Nettotilgung schaffen oder nicht, denn der hohe Schuldenstand ist Folge des hinter dem Bundesdurchschnitt zurückgebliebenen Wachstums Bremens und der lange vernachlässigten Investitionen. Deshalb sinken die Gesamtschulden langfristig nur dann, wenn der Investitionsbedarf jetzt endlich auf die zukünftigen Wachstumsfelder der Wirtschaft ausgerichtet ist. Das ISP ist zu finanzieren in dem Maße, in dem sich Zinsersparnisse aus dem Sanierungsbetrag ergeben.

VI. Konsumtiv sparen ist möglich

Die aktuellen Mindereinnahmen müssen durch drei Maßnahmenbündel im konsumtiven Teil des Haushalts erwirtschaftet werden: permanente Aufgabenkritik, ein Leistungsstandartvergleich mit anderen Bundesländern und vergleichbaren Städten sowie die Effizienzsteigerung der öffentlichen Verwaltung und eine weitgehende Privatisierung. Daß diese Maßnahmen bisher systematisch sabotiert wurden, zeigt, daß im Sinne einer „Verelendungstheorie“ die finanziellen Spielräume erst so knapp bemessen sein müssen, daß selbst gegen den Druck von Interessengruppen grundlegende Strukturanpassungen erfolgen können. Verelendung bedeutet, bezogen auf Bremen, ein Zurückschrauben auf die Leistungsstandarts, die Bundesländer wie Bayern, Nordrhein-Westfalen oder Hessen ihren Bürgern äzumutenô. Beispiele hierfür sind die in Bremen bestehende günstigste Schüler- Lehrer-Relation aller Bundesländer oder die inkonsequente Handhabung der Fehlbelegungsabgabe.

Es ist nicht einzusehen, daß ständig über die Effizienzsteigerung der öffentlichen Verwaltung gesprochen wird, aber keine Ansätze zur Reform des Personalvertretungsgesetz gemacht werden. Bei gesunkener Einwohnerzahl Bremens hätte der Personalbestand mindestens um die gleiche Rate fallen müssen. Angesichts der Entlassungen von Arbeitnehmern in Branchen wie Stahl, Schiffbau und Luftfahrt, ist es ein Skandal, daß die Personalräte ausschließlich ihren Besitzstand verteidigen wollen.

Der dritte Weg ist ebenfalls klar vorgegeben: durch Privatisierung. Hierdurch wird erstens Liquidität gewonnen, die in ISP-Projekten zweckgebunden zur Steuerkraftsteigerung ver- wendet werden kann und zweitens wird die gleiche Leistung danach durch die höhere Produktivität im privaten Sektor erheblich kostengünstiger erbracht werden können.

VII. Chance durch Wachstum

Wir müssen die Kleinheit unseres Bundeslandes als Chance begreifen und den dornenreichen Anpassungsweg als Vision für eine bessere Zukunft. Bremen löst damit heute Probleme, vor denen andere Bundesländer im nächsten Jahrtausend noch stehen werden. Der Anpassungsdruck muß offensichtlich sein und so groß werden, daß es zu grundlegenden Änderungen und Einsparungen kommt. Heute muß die Weichenstellung für mehr Wachstum geschehen. Wir müssen die Wachstumsdefizite der letzten 20 Jahre aufholen, um unsere alte relative Position in der Bundesrepublik wiederzuerlangen. Insofern ist der Ansatz der Grünen falsch, die sagen, daß heute keine Wachstumspotentiale mehr vorhanden sind. Vielmehr braucht Bremen Wachstum, um dauerhaft entschuldet zu werden. Es geht nicht um die absoluten „Grenzen des Wachstums“ in einer verdichteten Industriestruktur in Europa, sondern es geht um relative Wachstumspotentiale im Wettbewerb der Wirtschaftsregionen in Norddeutschland. Deshalb müssen auch der Flächennutzungsplan und das Regionale Entwicklungskonzept auf Wachstum getrimmt werden. Bei weiterer Modernisierung und Flexibilisierung hat Bremen in der Tat beste Vorraussetzungen für einen dauerhaften Aufschwung des Landes. Mit dem Mut und der Überzeugung, die Einzelinteressen hinter das Gesamtwohl zurückzustellen, können wir die Selbstständigkeit Bremens aus eigener Kraft erhalten.

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