: Shell dealte mit Ken Saro-Wiwas Leben
■ Der Konzern wollte sich nur für die Entlassung des hingerichteten nigerianischen Oppositionellen einsetzen, wenn die internationalen Proteste gestoppt werden
Dublin (taz) – Shell hat im vergangenen Jahr verlangt, die internationalen Proteste gegen den Ölkonzern wegen seiner Nigeria-Geschäfte abzublasen – und zwar von Owens Wiwa, dem Bruder des hingerichteten Schriftstellers Ken Saro-Wiwa. Im Gegenzug bot das Unternehmen an, sich bei der nigerianischen Militärdiktatur für Owens Wiwas Bruder und seine acht Mitverurteilten einzusetzen. Weil Owens Wiwa das nicht zusagen konnte, ließ Shell die Hinrichtungen der neun Verurteilten am vorletzten Freitag zu. Das geht aus einem Interview der britischen Sonntagszeitung Observer mit Owens Wiwa hervor.
Der 38jährige Arzt und jüngere Bruder von Saro-Wiwa ist kurz nach dessen Verhaftung im Mai 1994 untergetaucht. Drei Treffen mit Brian Anderson, dem Chef von Shell Nigeria, kamen auf Vermittlung des britischen Regierungsbeauftragten in Lagos zustande. „Jedesmal habe ich ihn um Hilfe gebeten, um meinen Bruder und die anderen aus dem Gefängnis zu holen“, meinte Wiwa. „Er sagte, er könnte uns dabei helfen, Ken frei zu bekommen, wenn wir die Protestkampagne im Ausland stoppen würden.“ Selbst wenn er gewollt hätte, so Wiwa, wäre er nicht in der Lage gewesen, die Umweltproteste zu verhindern.
Ein Sprecher von Shell bestätigte die Treffen am Samstag, behauptete jedoch, es habe sich dabei um einen Versuch in „stiller Diplomatie“ gehandelt und nicht um eine Einmischung in die Politik. „Shell steckt bis zum Hals in der nigerianischen Politik“, sagte Owens Wiwa dagegen. „Wenn sie damit gedroht hätten, sich aus Nigeria zurückzuziehen, dann wäre er heute noch am Leben. Daran besteht kein Zweifel.“ Owens Wiwa stand durch Armeekontakte in ständiger Verbindung mit seinem Bruder. „Er hat mir rund 25 Briefe geschickt, den letzten im September“, sagte Wiwa. „Er war stets optimistisch, daß der Kampf der Ogoni Erfolg haben würde, und das gab mir Kraft.“
Owens Wiwa flüchtete am vergangenen Donnerstag in „ein westafrikanisches Land“, heißt es im Observer. Er wird in den nächsten Tagen in London eintreffen. Er hat Shell aufgefordert, die Finger von dem neu vereinbarten Flüssiggasprojekt in Bonny etwa 30 Kilometer von der Grenze zum Ogoni- Land zu lassen. Der südafrikanische Präsident Nelson Mandela hat am Samstag Sanktionen gegen Shell angekündigt, falls der Konzern nicht Abstand von der geplanten Sechs-Milliarden-Mark-Investition nimmt.
Unterdessen hat Shell eine dreiste Anzeigenkampagne eingeleitet, um zu retten, was kaum noch zu retten ist. Am Freitag erschien in britischen Tageszeitungen eine ganzseitige Anzeige, in denen behauptet wird, daß die Menschen im Niger-Delta unter einem Shell- Rückzug leiden würden. „Was auch immer Sie von der nigerianischen Situation heute halten“, heuchelt der Ölkonzern, „wir wissen, Sie wollen nicht, daß wir dem nigerianischen Volk schaden. Oder seine Zukunft aufs Spiel setzen.“ Ralf Sotscheck
Siehe auch Seite 20
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