■ Kwaśniewski nach dem zweiten Wahlgang Präsident Polens
: Sieger dank Bumerangeffekt

Es war wohl doch eher die Entscheidung für das kleinere Übel, die die Mehrheit der Polen dazu bewegte, in der Stichwahl um das Präsidentenamt für den Exkommunisten Aleksander Kwaśnieski zu stimmen. Denn im Wahlkampf, der zum Schluß recht unappetitliche Formen annahm, waren weder Kwaśnieswki noch sein Kontrahent Lech Walesa in der Lage, politisches Profil zu entwickeln und Zukunftsperspektiven aufzuzeigen. Vielmehr setzte der jetzige Amtsinhaber noch einmal alles auf die Karte Demokratie versus Rückkehr zum Kommunismus und trug damit entscheidend zur Polarisierung der Wählerschaft in zwei Lager bei. Doch diese Rechnung Walesas ging nicht auf.

Die Angst vor einer Rückkehr der Exkommunisten in die wichtigsten Machtpositionen trat besonders bei den jungen Wählern und sozial Benachteiligten zurück, angesichts der Chance, einen Staatspräsidenten abzuwählen, der für eine fortdauernde Konfrontation mit dem Parlament steht und dessen historische Legitimation weitgehend aufgebraucht ist.

Und noch eins hat das Wahlergebnis deutlich gezeigt: Der Einfluß der katholischen Kirche in Polen, die sich wieder einmal massiv in die Politik einmischte und ihr ganzes Gewicht für Walesa in die Waagschale geworfen hatte, schwindet weiter. Daß die Unterstützung des Klerus für ihn zum Bumerang werden könnte, ahnte wohl auch Walesa, als er kürzlich davor warnte, das Engagement der Kirche könne eher kontraproduktiv wirken.

Ob die Polen mit Kwaśnieski wirklich „die Zukunft gewählt“ haben, wie dessen Wahlkampfslogans versprachen, wird wesentlich davon abhängen, welche Weichen der neue Präsident in der Innenpolitik stellen wird. Dazu gehört in erster Linie die Verabschiedung einer neuen Verfassung, die als Entwurf im zuständigen Ausschuß des polnischen Parlaments unter Vorsitz von Kwaśnieski bereits seit zwei Jahren vor sich hindümpelt.

Dazu gehört aber auch, inwieweit es Kwaśnieski gelingen wird, zwischen den beiden Lagern zu vermitteln und sie zu integrieren. Noch in der Wahlnacht rief der Sieger zur Zusammenarbeit und Versöhnung auf. Er wolle ein Präsident sein, der die Nation vereinige und nicht spalte. Diese Aufgabe wird nicht leicht sein. Denn die Gräben, die dieser Wahlkampf aufgerissen hat, sind tief. Barbara Oertel