■ Das Urteil zum „Horror-Haus von Gloucester“
: Eine Hausfrau als Serienmörderin

Dublin (taz) – „Die Knochen, die im Garten ausgegraben wurden, waren ein anatomisches Durcheinander“, hieß es in der Anklageschrift. Hinter diesem nüchternen Satz verbirgt sich eine der grausamsten Mordserien in der britischen Geschichte: Rosemary West soll zwischen 1971 und 1987 gemeinsam mit ihrem Mann Frederick zehn junge Frauen und Mädchen ermordet haben. Die zerstückelten Leichen wurden im Garten hinter dem Haus im südwestenglischen Gloucester vergraben oder im Keller einbetoniert – allen war der Kopf abgetrennt worden, manchen auch Gliedmaßen, und bisweilen benutzten die Wests die Kniescheiben ihrer Opfer später als Aschenbecher. Am Dienstag abend ist Rosemary West, die nächste Woche 42 Jahre alt wird, vom Schwurgericht in Winchester zunächst in drei Fällen des Mordes schuldig gesprochen worden, darunter für die Morde an ihrer 16jährigen Tochter Heather und ihrer achtjährigen Stieftochter Charmaine. Gestern befanden die Geschworenen sie in den restlichen sieben Fällen für schuldig. Wenn es nach ihm ginge, so der Richter, werde Rosemary West „nie wieder aus dem Gefängnis herauskommen“.

Frederick West, der beim Polizeiverhör nicht nur die zehn Morde gestanden, sondern darüber hinaus zugegeben hatte, seine erste Frau Rena und die Babysitterin Anne McFall getötet zu haben, war am Neujahrstag 1995 erhängt in seiner Zelle gefunden worden. Die Polizei geht davon aus, daß irgendwo noch zehn weitere Frauenleichen vergraben sind – nämlich zehn Frauen, die ebenfalls bei den Wests wohnten und seitdem verschwunden sind.

Auf die Skelette war man nur deshalb gestoßen, weil eine Tochter der Wests zur Polizei gegangen war und gesagt hatte, daß in dem Haus „irgend etwas nicht stimmt“. Mit einem Radardetektor konnten die Beamten feststellen, an welchen Stellen das Erdreich aufgewühlt worden war. Zutage kamen die Überreste der Frauen – manche waren mit Klebeband geknebelt, einigen war das ganze Gesicht mit dem Band verklebt worden. Damit sie noch atmen konnten, bis man sie auf andere Weise ermordete, hatten ihnen die Wests Strohhalme durch das Klebeband in die Nasenlöcher gesteckt.

Während der wochenlangen Sucharbeiten in der Cromwell Street hatte sich ein regelrechter „Horror-Tourismus“ mit T-Shirt- Verkauf und Würstchenbuden entwickelt. Die Nachbarn kassierten ein Pfund für die Toilettenbenutzung, wer einen Blick über die Mauer in den Garten werfen wollte, mußte ein Vielfaches anlegen. Aber auch ein paar Beamte, die mit dem Fall zu tun hatten, wollten mitverdienen: Der Gerichtssekretär Scott Canavan bot dem Daily Mirror die Verhörnotizen von Frederick West für umgerechnet eine Viertelmillion Mark an, die Polizistin Hazel Savage, die den Wests als erste auf die Spur gekommen war, wandte sich mit ihrer Geschichte an eine Literaturagentur, und Frederick Wests Anwalt Peter Harris verhökerte dessen handgeschriebene Aufzeichnungen von rund hundert Seiten an den ehemaligen Times-Journalisten Geoffrey Wansell.

Das Ehepaar West wohnte seit 25 Jahren in dem „Haus des Schreckens“, wie das dreistöckige Reihenhaus in der Cromwell Street Nummer 25 von den Medien getauft wurde. Frederick und Rosemary hatten sich 1969 kennengelernt, Rosemary war damals 15. Anderthalb Jahre später kam die Tochter Heather zur Welt, das erste von sieben Kindern. 1987 verschwand sie plötzlich. Der Nachbarin, die damals nach dem Mädchen fragte, erzählten die Wests, sie sei mit einer Freundin davongelaufen. „Später haben sie Witze darüber gemacht und behauptet, Heather liege unter der Terrasse“, sagte die Nachbarin vor Gericht.

Einmal, im Frühling 1973, kam eine Frau in die Cromwell Street und erkundigte sich nach ihrer Tochter Lynda Gough, die bei den Wests gewohnt hatte. Sie sei weggezogen, erklärte Rosemary West – dabei trug sie Lynda Goughs Hausschuhe. Nach den anderen jungen Frauen und Mädchen fragte niemand. Auch die 18jährige Shirley Ann Robinson tauchte spurlos unter, bis sie im Keller in der Cromwell Street gefunden wurde. Robinson war im achten Monat schwanger – von West, wie ihre frühere Freundin behauptete. Die schöpfte nach Robinsons Verschwinden jedoch keinen Verdacht, sondern zog selbst zu den Wests und lebte zwei Jahre in dem Haus. Das Ehepaar hatte das obere Stockwerk und den ausgebauten Dachboden ständig vermietet.

Wie die Frauen umgekommen sind, weiß niemand außer Rosemary West. Die „Hausfrau“, wie die englische Presse sie meist nennt, hat jedoch bis zuletzt ihre Tatbeteiligung bestritten. Ihr Mann Frederick hatte kurz vor seinem Selbstmord die alleinige Schuld auf sich genommen, sein makabres Tonbandgeständnis wurde jetzt im Prozeß abgespielt. Rosemary West nahm das Opfer dankbar an: „Evil Fred“, der böse Fred, sei es gewesen, sie selbst habe von all den Morden nichts bemerkt. Ein wenig Licht in die Angelegenheit brachten die Aussagen der West-Tochter Anne-Marie sowie der Frauen, die aus dem „House of Horror“ entkommen konnten. Sie alle erzählten von Vergewaltigungen, Morddrohungen, Schlägen und Folterungen, die manchmal tagelang dauerten. Caroline Owens gelang 1971 die Flucht, nachdem sie zwei Tage lang unbeschreibliche Leiden ertragen mußte. Sie ging zur Polizei, die Wests wurden zu einer Geldstrafe verurteilt. Selbst die Sun, nicht gerade bekannt für Feinfühligkeit, druckte Owens' Aussage aus Sorge um die LeserInnen nur stark gekürzt ab. „Sie hatten ihre Finger in mir drin, während sie über meine Genitalien diskutierten“ – das war einer der Sätze, die der Sun-Chefredakteur strich, obwohl der seriöse Guardian ihn abdruckte.

In den Prozeßpausen debattierten die JournalistInnen in den Gängen des Gerichts immer wieder, inwieweit man über die fürchterlichen Details der Ereignisse in der Cromwell Street Nummer 25 berichten dürfe. Man stimmte darin überein, daß viele Einzelheiten zu entsetzlich waren, als daß man sie in „Familienblättern“ abdrucken könnte. Dem hielt Nicci Gerrard vom Independent entgegen, daß es gerade das Weggucken, die „vorsätzliche Amnesie“ von Untermietern, Nachbarn und Eltern der Opfer war, die jene „grausigen Konsequenzen“ hatte. Manche Leute könnten die Prozeßberichte einfach nicht lesen, weil sie zu erschütternd waren, sagte Gerrard und fügte hinzu: „Genau deshalb müssen wir sie lesen: um erschüttert zu werden.“ Ralf Sotscheck