: Hüter ohne Gral
Verachtet satte Harmonien wie „gewöhnliche“ Klänge – und ist trotzdem kein Genußfeind: Der Komponist Helmut Lachenmann wird 60 ■ Von Christine Hohmeyer
Bogenhaare knirschen. Eine Fingerkuppe schlägt auf dem Griffbrett auf. Hölzern klappern Geige und Bogen aneinander, ein Flirren hängt in der Luft. Von hinten schleicht sich ein fahler Ton ins sparsame Geraune, schwillt an, drängt sich nach vorn und erlischt.
Akustische Nahaufnahmen, ein konzentrierter Blick ins Innenleben musikalischer Gestalten sind typisch für das Werk des Komponisten Helmut Lachenmann. Was fehlt, sind die „gewöhnlichen“ Töne, sind satte Klänge und harmonische Finessen. Und zwar von Anfang an: Der Komponist, der vor sechzig Jahren in einem protestantischen Pfarrhaus in Schwaben zur Welt kam, war stets auf der Suche nach neuen, von der musikalischen Tradition unverbrauchten Klängen und Geräuschen. Während in den sechziger Jahren sich jedoch viele seiner klangfarbensuchenden Kollegen aufs neue Medium der elektroakustischen Klangerzeugung stürzten (oder sich von Grenzüberschreitungen und außermusikalischen Einflüssen die Reanimation der Neuen Musik versprachen), wandte Lachenmann sich immer mehr dem inneren Zusammenhang der Klänge zu.
Die Radikalität, mit der er ungewöhnliche Spielweisen auslotete, das Geräusch von Fingernägeln auf dem Griffbrett konzert- und exzessive Pausen kompositionsfähig werden ließ, machte ihn bald bekannt – allerdings nur im Insider-Zirkel der Neuen Musik. Werke wie das Streichquartett „Gran Torso“ von 1971 oder das Klavierstück „Guero“ von 1970, in dem kein einziger Ton angeschlagen wird, wurden schnell das, was man später euphemistisch „Meilensteine“ in der Geschichte der Gattung nennt. Gleichzeitig aber machte sich Lachenmann mit seiner Unnachgiebigkeit nicht wenige Feinde. Sein Widerstand gegen neoromantische Anbiederungen und postmoderne Versöhnungen – dem er nicht nur musikalisch, sondern auch wortgewaltig Ausdruck verlieh –, wurde von vielen nicht als Ausprägung kompositorischen Stils, sondern als engstirnige Pedanterie gedeutet. Lachenmann dazu strikt: „Versuche in der Vergangenheit, mir im Hinblick auf meine Biographie ,pietistische Lustfeindlichkeit‘ anzudichten, halte ich für verräterische Kurzschlüsse, jenen Sottisen vergleichbar, daß die Deutschen am liebsten Sauerkraut essen und die Schotten geizig sind. Meine Lustfeindlichkeit geht nicht so weit, mich damit weiter auseinanderzusetzen.“
Keine biographischen Ausdeutungen also, kein Blick in Blaubarts Hinterzimmer. Und in der Tat ließe sich auch sonst kaum Aufregendes zu seinem Porträt zusammentragen, findet sich in Lachenmanns Biographie wenig Außermusikalisches, was sich als Motiv seiner musikalischen Arbeit herbeizitieren ließe.
Dennoch zeigt sich im Denken des Komponisten seine Zeit – etwa in einem unwiderruflichen Mißtrauen gegenüber einer Kultur, die mit dem Gewohnten immer auch das Schreckliche in Kauf nimmt. Es ist der Einfluß „der letzten sehr wach erlebten Kriegs- und Nazijahre“, die als Erfahrung nachwirken, ebenso aber auch der Einfluß von Luigi Nono, den Lachenmann als 22jähriger Student bei einem Besuch der Darmstädter Ferienkurse trifft und dem er zwecks Unterricht in den Sechzigern nach Venedig nachreist. Die politisch engagierte Musik Nonos und die von Adorno pointiert aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von Musik und Gesellschaft wurden für Lachenmann zu einer Anregung, die heute noch zu spüren ist: „Komponieren, per se, schließt Hoffnung ein: Hoffnung auf die Mittelbarkeit von Visionen; Hoffnung auf die Fähigkeit der Selbsterneuerung des seiner Hörigkeit überdrüssigen, hellhörig gewordenen Menschen ...“
Mit dieser – implizit politischen – Einstellung steht Helmut Lachenmann mittlerweile ziemlich allein da. Auch plagt ihn das Etikett, das seinem Werk angeheftet wurde, seitdem er „1975 arglos über eigene mentale Strategien beim Komponieren redend, den Begriff der ,Verweigerung des Gewohnten‘ in die Diskussion einbrachte“.
Ein Gralshüter der Moderne ist Lachenmann trotzdem nicht, sondern „einfach“ jemand, der als Komponist die Geschichte des instrumentalen Klanges weitergeschrieben hat. Wenn Bogenhaare knirschen und die Geigen hölzern klappern, so sind es genau diese subtilen Balanceakte zwischen Klang und Geräusch, zwischen Bewegung und Stillstand, die die Wahrnehmung aktivieren: Man rätselt über die Herkunft der Töne, man erschrickt bei kleinsten Explosivlauten. In seinen scharfen Nahaufnahmen findet Lachenmann die gesuchten Ausdrucksmöglichkeiten, die „einer zunehmend stumpfen Wirklichkeit gewachsen sind“.
In Berlin gibt es aus Anlaß des 60. Geburtstages eine Konzertreihe des Ensemble United – im Podewil, Klosterstraße 68-70.
Heute, 20 Uhr: Generalprobe von „Mouvement“ (– vor der Erstarrung) mit Gespräch (Eintritt frei), danach „Ein Kinderspiel“ (sieben kleine Stücke für Klavier) und „Gran Torso“, Musik für Streichquartett.
Am 25.11. um 15.30 Uhr „Trio Fluido“ für Klarinette, Viola und Schlagzeug und „Allegro sostenuto“ für Klarinette, Violoncello und Klavier, um 17 Uhr ein Vortrag von Lachenmann zum Thema „Klangtypen“, um 20 Uhr Konzert mit Werken von Schönberg, Metsk und Helmut Lachenmann.
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