: "Kippenlose Oase unter Tage"
■ Vorsicht: Die BVG erfaßt auf dem U-Bahnhof Kleistpark die Fahrgäste per Infrarotlicht. "Pilotprojekt" gegen das seit 1978 geltende Rauchverbot läuft an
Die Fahrgäste staunten nicht schlecht, als sie gestern mittag auf dem U-Bahnhof Kleistpark die Rolltreppe hochgefahren kamen: Dort standen auf mehreren Tischen belegte Brötchen, liebevoll mit Gürkchen und Petersiliensträußchen dekoriert, und es gab Kaffee. Doch statt eines BVG-Mittagspausensnacks bekamen sie nur Faltblätter in die Hand gedrückt, die sie darüber informierten, daß dieser Bahnhof „frei von Rauch und Kippen“ ist. Das Buffet war für die Presse angerichtet, auf daß sie über die neueste BVG-Aktion berichte.
Seit gestern ist der U-Bahnhof Kleistpark nicht mehr nur einer von 167 U-Bahnhöfen in der Stadt. Er ist für die nächsten zwei Monate als „Pilotprojekt“ auserkoren. BVG-Marketingleiter Wolfgang Schwenk fand für die etwa 5.000 Mark teure „Aufklärungskampagne“ die schönen Worte der „kippenfreien Oase unter Tage“.
Um die jährlichen Kippenbeseitigungskosten von 2,3 Millionen Mark einzusparen, das seit 1978 geltende Rauchverbot auf den Bahnsteigen durchzusetzen und um den Beschwerden von Nichtrauchern zu entsprechen, haben die Mitarbeiter der BVG-Marketingabteilung ihre Köpfe rauchen lassen. Herausgekommen sind jede Menge Hinweisschilder mit durchgestrichenen Zigaretten und neue Abfalleimer auf den Bahnsteigen, die keine Möglichkeit mehr zum Ausdrücken der Zigarette bieten. Statt der bisher üblichen Kippenablage ziert diese nunmehr eine Abdeckung mit durchgestrichener Zigarette.
Damit die Raucher gar nicht erst mit ihren Zigaretten bis zu den Bahnsteigen vordringen können, wurden vor den Rolltreppen quietschgelbe und mausgraue Aschenbecher montiert, die auf den ersten Blick wie neue Entwerter anmuten. Betrachtet man sie allerdings von der Seite, zeigen aufgemalte, noch qualmende Kippen, wohin der BVG-Hase läuft. Spätestens beim Betreten der Rolltreppe offenbart sich der orwellsche Charakter des Pilotprojekts. Jeder Fahrgast, ob mit oder ohne Kippe, wird per Infrarotlicht erfaßt und von einer sanften Frauenstimme, die aus Lautsprechern an der Decke über den Aschenbechern ertönt, mit mahnenden Worten die Treppe hinuntergeleitet: „Bitte beachten Sie das Rauchverbot auf dem Bahnsteig!“ „Wir wollen keine preußische Hoheitsbehörde sein“, so BVG-Marketingleiter Schwenk. Er ist überzeugt, die Raucher mit „freundlicher Entschlossenheit“ zum Ablegen ihrer Kippe an der Rolltreppe bewegen zu können. Der Erfolg sei meßbar am Zustand der Gleisbetten und Bahnsteige, die gestern extra „picobello“ gereinigt worden waren. Bewährt sich die Kampagne, so Schwenk, werden die anderen U-Bahnhöfe nachgerüstet. Eine Mitarbeiterin der „Nichtraucherinitiativgruppe“, die an der Kampagne beteiligt war, ist jedoch skeptisch: „Raucher sind süchtig.“ Barbara Bollwahn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen