■ Standbild: Tod im Weichzeichner
„Der kuriose Tod. Eigentümliche Friedhöfe in Europa“, Sonntag, 22.05 Uhr, ORB
Der Einfluß des Kirchenkalenders auf die Programmgestaltung offenbarte sich bereits in der „Lindenstraße“. Kurz vorm Serienjubiläum stimmte das Busunglück und das Ableben des Benny Beimer die Gemeinde am Totensonntag noch einmal selig. Eher besinnlich als dramatisch ging es wenig später auf ORB zu, wo ein 25minütiges Pausenfeature von Daniela David über eigentümliche Friedhöfe in Europa ausgestrahlt wurde. Nebelschwaden zu wogenden Klängen umspielen Schädel- und Knochenarchitekturen in einem böhmischen Beinhaus. Eine rauhe Flüsterstimme erzählt von Pest und Hussitenkriegen, die die Einstellung zum Tod drastisch veränderten. Sterben war plötzlich zu einem Massenphänomen geworden, dem man nur noch durch Aufschichten und Sortieren beikommen konnte.
Fröhlicher geht es in einem Dorf in Rumänien zu, wo Holzschnitte die Geschichten der Verstorbenen erzählen. Memento mori – hier Namen und Lebensdaten, dort Poesie und Erzählung. Auf Amrum zeugen Flachreliefs in Sandstein vom Seefahrertod, und auf dem Friedhof der Namenlosen in Wien sind überwiegend Selbstmörder bestattet, die man aus der Donau gezogen hat. Ein Mann erschießt sich auf den Tag genau zehn Jahre nach dem Selbstmord seiner Mutter an deren Grab. Nur Todesgeschichten gestatten noch kitschige Symbolik. Der Fernsehtod in Bosnien sieht anders aus.
Es ist Schlafenszeit, die Kamera tastet bedächtig Gräberlandschaften ab, Überblendungen mit Weichzeichner. Das Interview, unverzichtbares journalistisches Mittel zur Bekräftigung von Authentizität, gewahrt uns zwei Alte, die Gutes über die Toten als Lebende nachzutragen haben. Während die Nachmittag-Talk-Shows beinahe wöchentlich Kontakte zu mitteilungsbedürftigen Verstorbenen herstellen, appliziert das Besinnungsfilmchen am Totensonntag ein Schweigen. Aber man will auch nicht verängstigen. In Italien, wo sonst, kommen wir dem Leben wieder etwas näher. Die aufreizenden Skulpturen einer mailändischen Grabstätte führen geradewegs zur Erotik des Friedhofs hin. Der sonntäglichen Einkehr Ende ist so mit einem kurzen Tastendruck gestundet. Nebenan auf RTL gibt's „Playboy- Late-Night“. Auch dort wird reichlich weichgezeichnet und überblendet. Harry Nutt
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