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So fühlt sich Geschichte eben an

■ Tian Zhuangzhuang über die Arbeit an seinem Film „Der blaue Drache“

Die Dreharbeiten im Dezember 1991 waren vom ersten Tag an ein einziger Alptraum. In anonymen Briefen wurden wir beschuldigt, „die Kommunistische Partei und den Sozialismus“ anzugreifen; diese Briefe gingen ans Zentralkomitee der Partei und ans Ministerium für Rundfunk, Film und Fernsehen. Das Ministerium wollte die Dreharbeiten abbrechen lassen, wurde aber ans Propagandaministerium verwiesen – und am Schluß passierte gar nichts. Als wir mit den Dreharbeiten fertig waren, ging die Briefkampagne wieder los. Das Studio ließ mich mit den Aufnahmen nicht nach Japan, wo weiterproduziert werden sollte, so daß ich den Film ein Jahr lang nicht fertigmachen konnte.

Am Ende half uns schließlich eine holländische Firma bei der Fertigstellung, und ich konnte den Film für Cannes einreichen, wo er dann 1993 Premiere hatte. Diese Publicity wurde natürlich auch in China wahrgenommen. Die Regierung boykottierte daraufhin das Tokioer Filmfestival und ließ mich auch nicht ausreisen. Dort wurde „The Blue Kite“ („Der blaue Drache“) als bester Film ausgezeichnet. Irgendwann konnte ich mich aus allen Verbindlichkeiten mit dem Filmstudio Peking lösen und habe solche Probleme nun nicht mehr, weil ich nicht mehr Mitglied einer offiziellen Institution bin. Aber bis heute kann der Film in China nicht gezeigt werden.

Nachdem „Horse Thiefs“ („Pferdediebe“) acht Monate gebraucht hatte, um durch die Zensur zu kommen, habe ich erst einmal alles gemacht, was so kam. Ich hatte keine Lust auf Schlagzeilen und durchaus andere Angebote, aber ich wollte endlich „The Blue Kite“ machen – obwohl ich wußte, daß ich und diejenigen, die ihn freigeben sollten, große Probleme bekommen würden. Aber diese Geschichte zu erzählen wurde zur Obsession. Ich war inzwischen vierzig und dachte immer mehr daran, was in China seit der Revolution passiert war. Unsere Eltern haben für diese Zeit mit Blut und Tränen bezahlt. Politik hat alles niedergewalzt – Menschlichkeit, Würde, Freundlichkeit, Zärtlichkeit. Viele wissen heute gar nichts mehr über diese Zeit. Die Verfolgungen der Kampagne „Gegen Rechte“, die der Hundert-Blumen-Politik folgte, sind unter Schriftstellern, Künstlern und Filmemachern immer noch tabu; wie auch der „Große Sprung“, dem ökonomisches Chaos und eine Hungerkatastrophe folgten, in der Millionen Chinesen umkamen; oder die Kulturrevolution mit ihren Hexenjagden. Das alles gehörte zu ein und derselben historischen Strömung, die über die Menschen kam und Familien zerstörte wie eine Naturgewalt. Insofern ist „The Blue Kite“ eine Hommage an die Generation meiner Eltern.

Ich bin 1952 geboren. Viele Szenen in „The Blue Kite“ sind Erinnerung, auch an Geschichten, die mir mein Vater und andere aus seiner Generation später erzählt haben. Meine Eltern waren beide Parteikader. Die Geschichten sind alle wahr. Eben davor hat man solche Angst – und das ist der Grund, warum sie nicht erzählt werden.

Es gibt schon genug Filme, die nichts mit der Realität zu tun haben: Heldenepen, Komödien, Kung-Fu-Filme etc. Die sind nicht alle schlecht, aber ein Film darf nicht nur Unterhaltung sein. Man muß über die Vergangenheit sprechen, so wie wir sie verstehen. Das können wir nicht der nächsten Generation überlassen. Die hat sowieso mehr Interesse an Rock'n'Roll als an dem, was mit ihren Eltern passiert ist.

Zum ersten Mal wurde diese Zeit aus so einer Perspektive gezeigt, durch die Augen des Kindes, das ich damals war. Es war brutal und total unverständlich: Aber so fühlt sich „Geschichte“ an, wenn man mitten drin ist. „The Blue Kite“ ist aus Liebe zu dieser Generation entstanden, die so viel erlitten hat, und in der Hoffnung, daß die nächste Generation diese Fehler nicht wiederholt. Der Film soll ihnen ein Gedächtnis geben, das ihnen vorenthalten wurde – von der Partei und übrigens auch von der jungen Generation selbst, die nichts anderes mehr will, als so schnell wie möglich westliche Standards zu erreichen.

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