800 Ermittlungen gegen Sprayer

■ In den letzten Monaten 80 Anklagen wegen Graffiti. Am Tag nach der zweiten Großrazzia in diesem Jahr hält sich die Polizei mit Informationen zurück. Jugendsenatorin sieht keine Veranlassung zum Protest

Bei der Verfolgung von Graffiti-Sprayern deckt die Sonderkommission der Polizei die Staatsanwalt mit Arbeit ein. Derzeit sind rund 800 Ermittlungsverfahren gegen Sprayer beim Landgericht anhängig, erklärte gestern Justizsprecher Rüdiger Reiff. In den letzten Monaten wurden 240 Fälle erledigt. 80 davon durch Anklage, die übrigen durch Einstellung des Verfahrens.

Bereits im Januar hatte die Polizei zu einem ähnlichen Schlag gegenüber der Graffiti-Szene ausgeholt. Damals waren 85 Wohnungen durchsucht worden und über 300 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Zwanzig Fälle kamen zur Anklage. Rechtsanwalt Volker Ratzmann, der einige Sprayer vertritt, erklärte, viele Verfahren seien mittlerweile eingestellt worden. „Die Sonderkommission geht mit völlig überzogenen Mitteln vor“, kritisiert der Anwalt, „die greifen sich jedes Butterbrotpapier als Beweis.“ Erst gestern waren 66 Wohnungen durchsucht worden.

Am Tag nach der Razzia gab sich die Polizei weiter bedeckt. Der Leiter der 34köpfigen Sonderkommission Graffiti, Parnicke, sprach von „Anweisungen, daß ich mich von der Presse fernzuhalten habe“. Seine Kommission hatte vorgestern zwischen fünf Uhr früh und halb zwölf Uhr vormittags die Wohnungen aufgesucht und dabei 31 Personen erkennungsdienstlich behandelt. Dabei wurde Beweismaterial in Form von Sprühdosen, Videofilmen und Graffiti-Vorlagen sichergestellt.

Offiziell heißt es, die Ermittlungen seien noch nicht soweit, „daß man was sagen kann“. Polizeisprecher Norbert Gunkel sprach von „taktischen Gründen“. Fest steht bislang, daß für 59 Wohnungen Durchsuchungsbefehle vorlagen. Sieben weitere Wohnungen habe man kurz entschlossen vor Ort in die Aktion mit einbezogen, weil „Gefahr im Verzuge“ gewesen sei. Wenn dieser Tatbestand erfüllt ist, so darf nach Paragraph 105 der Strafprozeßordnung auch ein „Hilfsbeamter“ eine Wohnungsdurchsuchung veranlassen.

Bei den von der Aktion betroffenen Sprayern handelt es sich um 15- bis 21jährige „Personen männlichen Geschlechts“. Warum die Razzia vorgestern ablief, „dafür gibt es keinen speziellen Grund“, so Sprecher Gunkel. „Man wird geguckt haben, wann die meisten Beamten im Dinest sind.“

Über die Verhältnismäßigkeit der Mittel – ähnliche Razzien sucht man im Mafiabereich vergebens – besteht bei der Polizei überhaupt kein Zweifel. „Wir schießen hier nicht mit Kanonen auf Spatzen, das ist ein Trugschluß“, so Gunkel. Die Graffiti-Szene habe ein hohes Kriminalitätspotential, jeder vierte Sprayer besitze eine Waffe, räuberische Erpressung sei nicht selten. Dazu komme noch die Beschaffungskriminalität. Durch die jetzt gemachten Waffen- und Drogenfunde fühlt sich die Polizei bestätigt. Diese „Beweise“ würden jetzt ausgewertet, „um möglicherweise noch weitere Straftaten zu ermitteln“. „Das heißt aber nicht“, so der Leiter der Sonderkommission, Parnicke, „daß wir deswegen durchsucht haben.“

Im Hause der Jugendsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) regt man sich anders als bei der Razzia im Januar nicht mehr auf. Durch den „Aktionsplan Graffiti“, der seit dem Frühjahr unter anderem Freiflächen vermittelt, sei „im Bereich der Prävention“ genug angeschoben worden. „Und die vorhandenen Sachbeschädigungen müssen ja nun einmal verfolgt werden“, so Sprecher Gerrit Schrader. Christoph Oellers