: Telekom füllt die Kriegskasse
Vom ersten Januar an werden Ortsgespräche um so teurer, je länger sie dauern. Die Tarifreform '96 schröpft auch die Surfer in den Computernetzen ■ Von Christian Rath
Freiburg (taz) – Auch bei Ortsgesprächen sollte man künftig immer die Gebührenzähler im Auge behalten. Wer tagsüber im Ortsnetz gerne etwas länger plauscht oder gar moderne Online-Dienste nutzt, muß zum Jahreswechsel mit Preissteigerungen deutlich über 100 Prozent rechnen. Dies ist die Folge des neuen Telekom-Tarifkonzepts '96. In den bundesweit verteilten „Preisinformationen“ der Postnachfolgerin wird die teure Wahrheit allerdings verschleiert. Zwar heißt es, daß es „in einigen Fällen“ auch zu Preiserhöhungen kommen könnte. Wenn dann jedoch die Kosten eines Drei- Minuten-Gesprächs für alle Entfernungsstufen und Tageszeiten durchgerechnet werden, sind fast überall Preissenkungen bilanziert, in den Nachtstunden von zwei bis fünf Uhr morgens sogar bis zu 79 Prozent.
Die vereinzelt angezeigten Preiserhöhungen belaufen sich in fast allen Konstellationen nur auf 4 Prozent. Auch bei den symbolträchtigen Ortsgesprächen am Tage soll sich ein Drei-Minuten- Gespräch künftig lediglich von 23 auf 24 Pfennig verteuern.
Was bescheiden aussieht, ist eine geschickte Täuschung. Auch ein Fünf-Minuten-Plausch kostet bisher 23 Pfennig, denn es gilt (noch) der Sechs-Minuten-Takt. Mit der neuen Berechnungsgrundlage aber kostet das gleiche Gespräch künftig mehr als das Doppelte, nämlich 48 Pfennig. Denn der tickt dann viermal so schnell, nämlich im 1,5 Minuten-Rhythmus, wobei pro Einheit nur noch 12 Pfennige, also etwa die Hälfte, berechnet werden.
Diese Gebührenreform schlägt bei allen längeren Ortsgesprächen durch: So wird die Telekom für zwei Stunden Ortsgespräch von Kachelofen zu Kachelofen im neuen Jahr 9.60 Mark verlangen, heute ist das noch fünf Mark billiger. Warum präsentiert die Telekom dann aber als Beispiel einen Drei-Minuten-Anruf, ist das nicht Irreführung der Kundschaft?
Telekomsprecher Stefan Althoff weist diesen Verdacht weit von sich: „70 Prozent aller Privatgespräche im Ortsnetz dauern nicht länger als drei Minuten, wir haben uns also an einem typischen Fall orientiert.“ 53 Prozent der Privatgespräche sollen sogar kürzer als 1,5 Minuten dauern. Sie werden tatsächlich billiger, da die verkürzte 90 Sekunden-Einheit ja auch nur noch 12 Pfennig kostet. Nur: Wer vor allem im Ortsnetz telefoniert, muß dennoch mit erheblichen Kostensteigerungen rechnen, denn ein um fünf Mark verteuertes Zwei-Stunden-Gespräch schlägt mehr zu Buche als die gesparten Groschen bei den Kurzanrufen.
Verwirrend genug dürften viele Telefonrechnungen im Februar zunächst niedriger ausfallen, denn Ferngespräche sollen deutlich billiger werden. Obwohl 77 Prozent aller privaten Telefongespräche im Ortsnetz (das bald Citybereich heißen wird) geführt werden, machen die Ferngespräche zwei Drittel der Telefonkosten eines durchschnittlichen Privathaushaltes aus. Insgesamt um eine Milliarde Mark sollen die privaten Haushalte durch die Gebührenreform entlastet werden.
Wirtschaftskunden können sogar mit vier Milliarden Mark Ersparnis rechnen, vor allem deshalb, weil sie die nach der Post-Privatisierung fällig werdende Umsatzsteuer als Vorsteuer beim Finanzamt in Rechnung stellen können. Zu Preiserhöhungen führt die Umsatzsteuerpflicht im übrigen nicht, sie wird einfach in die bisherigen Preise hineingerechnet.
Warum also die Gebührenreform? „Wir haben bisher aus politischen Gründen mit unseren teuren Ferngesprächen die billigen Anrufe im Nahbereich subventioniert. Jetzt aber müssen wir uns am Markt bewähren, da brauchen wir ehrliche Preise.“ Doch nur eine Angst treibt die Telekom um: Private Gesellschaften können nach dem ersten Januar 1998, wenn das Telefonmonopol gefallen ist, Ferngespräche noch billiger anbieten und dabei immer noch gut verdienen. Den naheliegenden Verdacht, daß verbilligte Ferngespräche mit den Gebühren im Nahbereich subventioniert werden, will Althoff jedoch „ganz deutlich“ zurückweisen: „Irgendwann wird es auch in den Ortsnetzen Konkurrenz geben.“
Eben. Bis dahin müssen frisch Verliebte und Hausaufgabenteams in die Kriegskasse der Telekom einzahlen. Auch die bundesweit rund eine Million NutzerInnen von Online-Diensten müssen bluten. Denn wer im internet surft, zahlt mindestens den Telekom-Ortstarif zum nächsten Einwahlpunkt. Schon sehen Politiker aller Parteien den Weg in die „Informationsgesellschaft“ blockiert und fordern von der Telekom Sondertarife für die Datenkommunikation. Dort arbeitet man angeblich „mit Hochdruck“ an entsprechenden Modellen. Ein Blick auf das US-amerikanische Modell „friends & family“ könnte hilfreich sein: Auf besonders häufig angewählte Nummern (Netzprovider und Freundin) werden 50 Prozent Rabatt gewährt.
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