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■ Zur Strategie der Bündnisgrünen „nach Mannheim“Nur nützliche Idioten Lafontaines?

Die leichten Zeiten für die Grünen sind vorbei. In den zweieinhalb Jahren mit Scharping konnten sie nur gewinnen, werden sie jetzt wieder verlieren? Bisher war es die Spezialität von Lafontaine, die Grünen überflüssig zu machen, im Saarland seit 1985, in Bonn 1990, wo er den Grünen ein Drittel ihrer Wähler nahm und sie aus dem Bundestag warf. Das Absahnen der Grünen bei einer zerfallenden SPD allein durch geduldige Präsenz reicht nicht mehr aus. Mit dem Interesse an der SPD erwacht auch neues Interesse an den Grünen. Was ist ihr Eigenprofil?

Mit Lafontaine kommt ein neuer Polarisierungsschub in die deutsche Innenpolitik. Viele werden aufatmen nach den einschläfernden Jahren einer quasi Großen Koalition. Aber von Konfrontation profitieren nur die beiden Großen. Kleinparteien müssen in Zeiten der Polarisierung erstens die richtige Seite wählen und zweitens sich gegenüber der Großpartei ihres Feldes profilieren. Sonst gehen sie unter. Die Grünen haben auch in den schlechten Jahren an Rot-Grün festgehalten, warum sollten sie im Zeichen eines erneuten Aufschwungs für Rot-Grün daran Zweifel aufkommen lassen?

Endlich sind die Grünen von der verqueren Rolle entbunden, als Kleinpartei die Führung der Opposition zu übernehmen. Sie sind nun wieder die kleinere Oppositionspartei, im Verhältnis von eins zu drei. Die SPD wird erneut das Gravitationszentrum in dem Feld, das aus alter und neuer Linker und drei Parteien zusammengesetzt ist. Profil entsteht dann aus Unterschieden zur SPD. Die Grünen müssen beantworten können, warum man sie und nicht die Lafontainesche SPD wählen soll.

Sie können sagen, daß Lafontaine nicht die ganze SPD ist und sein Husarensieg den Widerstand der Traditionalisten anstacheln wird, die keinen Grund sehen – „wegen einer Rede“ – ihre Partei verloren zu geben. Sie können auf ökologische Bekenntnisse und die ganz andere industriepolitische Praxis der SPD in den Ländern hinweisen. Sie können sich auf Gerhard Schröder vorbereiten, ohne dessen Fischen im schwarz- roten Gewässer es keinen Machtwechsel für Rot-Grün geben wird. Die Grünen können die Glaubwürdigkeit der SPD sichtbar machen zwischen Rüstungsexport- Kritik und Förderung von U-Boot- Bau, zwischen D-Mark-Nationalismus und Europapolitik, zwischen Autogesellschaft und ökologischem Umbau. Grüne könnten die Widersprüche der SPD zum Tanzen bringen.

Die SPD und die Bündnisgrünen müssen drei Millionen Wähler von den Regierungsparteien abziehen, wollen sie 1998 den Machtwechsel zustande bringen. Sie brauchen – auf der Basis von 1994 – dafür nur 143.000 Stimmen, wenn die PDS mit einbezogen wird. Schon aus diesem Grunde wird die PDS-Frage zu einem zentralen Thema der deutschen Innenpolitik. Lafontaine hat sofort Scharpings Fehler korrigiert, das Verhältnis zur PDS zentralistisch, von Bonn aus zu regeln. In Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen muß alleine entschieden werden, ob man an der einzigen Möglichkeit arbeiten will, eine Alternative zur Großen Koalition aufzubauen.

In vielen Fragen werden sich die Grünen programmatisch nicht sehr deutlich von der SPD unterscheiden: Ökosteuerreform, Forschungsförderung und andere Modernisierungsprojekte, das PDS- Thema. Die Grünen könnten in der Innenpolitik das libertäre Profil schärfen, bei Einwanderungsgesetz, Großem Lauschangriff (Beschlußlage der SPD!), Medienkontrolle und so weiter. Vielleicht lassen sie sich einmal ernsthaft auf den Ansatz ein, nicht nur von Themen, sondern von Interessen auszugehen. Gezielte Interessenberücksichtigung könnte den Grünen eine stabilere gesellschaftliche Basis verschaffen, als es die rasch wechselnden Themenkonjunkturen vermögen, die von den Großen bestimmt werden.

Ungeeignet für die Konkurrenz mit der SPD ist die Außen- und Friedenspolitik. Der Orientierungs- und Lernbedarf beider Parteien in einer gegenüber den achtziger Jahren grundlegend veränderten weltpolitischen Lage ist gleich groß. Lafontaines pazifistischer Traditionalismus hält die Sozialdemokraten von notwendigen Lernprozessen ab. Er weicht der Frage nach der Moralität einer im Rahmen der UNO internationalisierten Gewaltanwendung in extremen Grenzsituationen aus. Die Wähler sind weiter. Sie müssen nicht in der Opposition und Parteienkonkurrenz mit Positionen betrogen werden, die eine Regierung nicht durchhalten kann.

Wie kurzsichtig die Phrase, „die“ SPD überhole die Grünen friedenspolitisch links, wie peinlich der Versuch, Lafontaine hinterherzulaufen! Links muß auf friedenspolitisch neu bestimmt werden (bisher gehörte es zum Profil der Grünen, links neu zu definieren!), und Lafontaines Friedenspopulismus ist nur ein Segment der Sozialdemokratie. Er arbeitet mit einer dreifachen Absicherung: Die Bundestagsmehrheit für eine UNO/Nato-Friedenssicherung ist durch die Regierungsparteien gesichert; die Realitätsreserve, die eine regierende Sozialdemokratie braucht, steht mit dem außenpolitischen Sachverstand der SPD- Bundestagsfraktion zur Verfügung; Formelkompromisse sorgen für ein friedliches Nebeneinander von Partei und Fraktion. Der listenreiche Lafontaine gegen einen edlen, aber etwa tumben grünen Tor – wer könnte an einer solchen Inszenierung Interesse haben?

Gerade außenpolitisch müssen die Grünen ihren eigenen Weg gehen. Auf diesem Feld können sie von Lafontaine oder Schröder gar nichts lernen. Mangels Erfahrung schrumpft für diese gelernten Landespolitiker Außen- immer nur zur Innenpolitik. Weil sie noch nie auf den außenpolitischen Willen anderer Staaten gestoßen sind, neigen sie zu Kopfgeburten. Schröders und Lafontaines Kampagne gegen die Währungsunion zeigt, daß ihnen Rückwirkungen auf internationale Beziehungen bestenfalls als Nebenfolgen in den Blick kommen.

Die offene Organisierung von Lernprozessen könnte die Grünen von den Sozialdemokraten außenpolitisch unterscheiden. Ohne mit der Mitgliederpartei überlebte Primats- und Sanktionsansprüche von Parteitagen, aber mit Dialogorientierung gegenüber den eigenen Wählern, die in dieser Frage so gespalten sind wie die Partei und sich auch durch den grünen Apparat nicht „vereinheitlichen“ lassen wollen.

Auch die innenpolitische Welt ist für die Grünen durch Mannheim komplizierter geworden. Ihre Suchaufgabe im rot-grünen Projekt heißt: Differenzen plausibel machen. Linksopportunismus oder Polarisierungslust gehören sicherlich zu den unterkomplexen Reaktionsmöglichkeiten der Grünen. So würden sie nur zu nützlichen Idioten Lafontainescher Sozialdemokratie. Joachim Raschke

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