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Goethe lehrt mit Literatur aus der DDR

■ Interkulturelles Frühwarnsystem: Das Goethe-Institut soll mit geschrumpftem Personalbestand zur kulturpolitischen Lokomotive der Bundesregierung werden

Strahlend saß ein sichtlich zufriedener Hilmar Hoffmann auf dem Podium der Bundespressekonferenz und verkündete bei der Vorlage seines Jahresberichts, er blicke zuversichtlich in die Zukunft. Die Goethe-Institute, denen er als Präsident vorstehe, hätten nach Einsparungen beim Personal ihre Durststrecke überwunden, ein kompetenter neuer Generalsekretär sei mit Joachim Sartorius gefunden, und das Verhältnis zu Helmut Kohl und Klaus Kinkel gestalte sich harmonisch. Zwei Tage später bestätigte der Kanzler, der die große Geste lebt und jeden Zufall haßt, diese Einschätzung und schüttelte im Mannheimer Goethe-Institut einer peruanischen Architekturstudentin als 750.000ste Teilnehmerin eines Deutschkurses die Hand.

Dabei hatte es vor zwei Jahren noch nach Krieg zwischen der Regierung Kohl und der Kultur ausgesehen. Bundesfinanzminister Theo Waigel kürzte über entsprechend verringerte Zuweisungen ans Auswärtige Amt den Etat der Kulturorganisation von 353 auf 303 Millionen Mark. Das Ziel war leicht zu durchschauen und wurde in Bonn auch gar nicht dementiert: Das politisch unliebsame, weil vermeintlich linkslastige Goethe-Institut sollte unter der Leitung des SPD-Mitgliedes Hilmar Hoffmann in die Schranken gewiesen werden.

Der erfahrene Kulturpolitiker aber reagierte mit Umsicht: Er nahm den gekürzten Haushalt zum Anlaß für ohnehin längst sinnvolle Kürzungen im Personalbereich und strich 25 von 333 Stellen im höheren Dienst. Nebenbei bemühte sich Hoffmann um eine Verbesserung der Kontakte zur Bundesregierung und stieß beim Kanzler, der als Staatsmann mittlerweile im Weltformat denkt, auf Gegenliebe – zuletzt nahm dieser die Kultur gar auf seine Asienreise als Aushängeschild mit. So kam auch der Goethe-Chef nicht umhin, sich vor der Bundespressekonferenz artig bei Kohl dafür zu bedanken, daß dieser sich während seines Staatsbesuches in Vietnam für die Einrichtung eines Goethe-Instituts in Hanoi eingesetzt habe. Der Eröffnung steht jetzt aber noch die Forderung des Goethe-Instituts nach ungehindertem Zugang für alle EinwohnerInnen im Wege. Daß in die Kulturpolitik nicht allein politische Forderungen, sondern auch und vor allem Phantasie und freier Dialog der Kulturschaffenden eingehen müssen, ist selbstverständliche Handlungsmaxime des Institutspräsidenten.

Vorher allerdings mußte Hoffmann ganz gehörig Basisarbeit leisten, bis schließlich auch die CDU begriffen hatte, daß kulturelle Autonomie nicht unbedingt mit gesellschaftlicher Anarchie identisch ist. Unter Heiner Geißler in Bonn und Hans Maier in Bayern gab es zwar zeit- und ansatzweise eine einheitliche christdemokratische Linie in der Kulturpolitik. In der jetzigen Bundesregierung aber gibt es noch immer keine klare Vorstellung, was Kultur außer Repräsentation und Renommee leisten kann und soll.

Diese klare Vorstellung scheint dafür Hoffmann zu haben. Dreizehn neue Goethe-Institute wurden durch ihn seit 1989 eröffnet, die beiden vorerst letzten in diesem Jahr in Kasachstan und Georgien. Hoffmann nutzt also vor allem die politischen Veränderungen in den Staaten des ehemaligen Ostblocks, um den dort zweifelsohne vorhandenen Nachholbedarf in Sachen Westkultur dezentral zu fördern. Die Universitätsbibliothek der georgischen Hauptstadt Tblissi etwa verfügt über große Bestände deutschsprachiger Literatur. Seit den fünfziger Jahren allerdings sind kaum noch Neuerscheinungen aus dem Westen hinzugekommen. Tausende dort immatrikulierter DeutschstudentInnen sind deshalb bis heute auf veraltete Bücher und Literatur aus der DDR angewiesen. Zeitgleich machte der Kanzler auf dem direkten Weg über den Bundestag zusätzliche 40 Millionen Mark für ein auf fünf Jahre befristetes Sprachprogramm in den Ländern der GUS locker.

Zuständig für die auswärtige Kulturpolitik ist als Außenminister Klaus Kinkel. Der FDP-Politiker allerdings hat sich schon vor längerer Zeit aus diesem Politikfeld verabschiedet. „Das wiedervereinigte Deutschland ist sich selbst genug“, brachte Hans Magnus Enzensberger Kinkels Konzeptlosigkeit in einem Spiegel-Essay vom 11. September 1995 auf den Punkt. „Anderen Ländern darzustellen, was hier geschieht, und zu erfahren, was anderswo gedacht wird, das sind Aufgaben, die in Bonn keine Priorität mehr genießen.“ Wenig später standen bei Kinkel die VertreterInnen der Organisationen vor der Tür: Weil der Kulturetat des Auswärtigen Amtes 1996 nur um vier Millionen Mark steigen soll und dieser Betrag nicht einmal ausreicht, um auch nur einen Teil der tariflich vereinbarten Gehaltserhöhungen für die 1.500 LehrerInnen an deutschen Auslandsschulen zu bezahlen, protestierte die Alexander- von-Humboldt-Stiftung ebenso vehement wie der Deutsche Akademische Austauschdienst gegen weitere Einsparungen und Kürzungen: Dies sei kein angemessener Weg, mit der gewachsenen Bedeutung Deutschlands umzugehen.

Kinkel reagierte einmal mehr beleidigt, klagte über „Feldgeschrei“ und mußte sich Vermittlung von der „Deutschen National Stiftung“ anbieten lassen, in der unter anderem sein Vorgänger als Außenminister, Hans-Dietrich Genscher, sowie Helmut Schmidt, Kurt Biedenkopf und Richard von Weizsäcker eine Neubestimmung der auswärtigen Kulturpolitik fordern. Es gelte, so ein Papier der Stiftung, die Verständigung mit dem Osten und Süden Europas, aber auch mit dem Islam und dem konfuzianischen Kulturraum zu pflegen und zu verbessern.

Hilmar Hoffmann reagierte am schnellsten. In der FAZ vom 2. November griff er Enzensbergers Anregungen auf und verdichtete sie zur Idee eines kulturellen Frühwarnsystems für die Außenpolitik: Die weltpolitische Verantwortung der Bundesrepublik sei gewachsen, Deutschland „immerhin ein wichtiger Repräsentant jener ,offenen Gesellschaft‘, deren Existenz Voraussetzung für eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in der Welt“ sei. Weder „staatliche Repräsentation in ihrer schlichten Form“ noch die „Präsentation klassischer Erfolge“ könnten und sollten deshalb die künftige auswärtige Kulturpolitik bestimmen: „Die zentralen Probleme im heutigen Kulturdialog entstehen dort, wo der Diskurs mit anderen Argumenten als den uns vertrauten geführt wird. Dafür Ressourcen und Institutionen so vorzuhalten, daß auch im Widerspruch der Diskurs nicht abbricht, das ist eine wichtige und vor allem teure Aufgabe des offenen Kulturdialogs, von dem dann auch Politik und Wirtschaft profitieren werden.“

Gleichzeitig forderte Hoffmann, alter Fuchs und hier auch Taktiker, mehr Freiraum für sein Goethe-Institut, das 1996 wieder einen Überschuß erwirtschaften wird. Längst nämlich beginnen andere Organisationen die Führungsrolle der Münchner Institutszentrale in Frage zu stellen: Ob etwa nach wie vor die in der Satzung des Goethe-Instituts an vorderster Stelle stehende Vermittlung der deutschen Sprache – geplant sind neben Hanoi weitere Institute in Johannesburg und Havanna – auf Kosten der Kulturarbeit nicht längst überholt sei, ob die Kulturarbeit nicht durch zu enge Bindung an die sie finanzierenden Stellen vielerorts leiste, was eigentlich Aufgabe der Politik sei.

Über diese Fragen müsse diskutiert werden, wiederholte Hoffmann auch bei seiner Jahrespressekonferenz in Bonn noch einmal. Die Mitgliederversammlung werde darüber im kommenden Juli beraten. Ein festgeschriebener Rahmen für auswärtige Kulturpolitik allerdings, betonte der Institutspräsident unter Hinweis auf die unter Genscher eingeleitete Liberalisierung, könne keinesfalls bereits die Lösung des Problems sein. Die auswärtige Kulturpolitik müsse künftig den gleichen Stellenwert haben wie die Wirtschafts- und die Friedenspolitik. Stefan Koldehoff

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