■ Gründung der „Türkischen Gemeinde in Deutschland“
: An der langen Leine laufen

Wenn sowohl Bundesinnenminister als auch der türkische Botschafter Beifall klatschen, ist Mißtrauen mehr als angebracht.

Und der Chef der frisch aus der Taufe gehobenen „Türkischen Gemeinde in Deutschland“ (TGD), Hakki Keskin, ist kein unbeschriebenes Blatt. Daß der seit drei Jahren eingebürgerte SPDler türkischer Herkunft kein einziges kritisches Wort zur türkischen Politik über die Lippen brachte, straft seinen hehren Anspruch der „Überparteilichkeit“ Lügen. Zu Recht begreifen Immi-Grüne, Alewiten, Kurden und Nicht- Nationalisten anderer Organisationen Keskins Ausspruch, nur ein solcher Dachverband sei „die angemessene Antwort an die Feinde der Türkei“, auch als Kampfansage an ethnisch und politisch Verfolgte. Für eine gerechte Flüchtlingspolitik und gegen die gängige Abschiebepraxis wird die TGD mit Sicherheit ihre Stimme nicht erheben. Statt dessen wird Lobbyist Keskin dafür sorgen, daß die bereits etablierten MigrantInnen türkischer Herkunft ihre Schäflein ins Trockene bringen; zur Not auch gegen die Interessen anderer Einwanderergruppen.

Doppelte Staatsbürgerschaft als deutsch-türkisches Abkommen zum Beispiel, wie es mit Israel und den Vereinigten Staaten Praxis ist. Wenn es Hakki Keskin tatsächlich gelingen sollte, mehr Rechte für MigrantInnen einzuklagen, würden zweifellos auch andere InländerInnen ohne deutschen Paß davon profitieren können. Ein Antidiskriminierungsprogramm in Schulen, das kommunale Wahlrecht oder der Zugang zu Jobs in den Behörden würden das Klima für das „Einwanderungsland Deutschland“ mit Sicherheit verbessern. Doch das wäre bestensfalls ein Stückchen mehr Gleichberechtigung für alle als Nebenprodukt der Interessenpolitik türkischer EinwandererInnen.

Aus Keskins Sicht dürfte die Gründung eines Dachverbandes noch aus einem anderen Grund überfällig gewesen sein: Immer öfter wurden zu Fragen, die türkische MigrantInnen betreffen – von rechtsradikalen Brandanschlägen über kurdische Proteste bis zu ausländerrechtlichen Fragen – Bündnisgrüne türkischer Herkunft zum Interview in die Nachrichtensendungen und Talk-Shows geladen. Jetzt will Keskin sich als Gesprächspartner für türkische Belange andienen. Und daß er an der langen Leine der türkischen Regierung läuft – das wurde spätestens auf dem Gründungskongreß deutlich — ist vielen aus Politik und Medien überhaupt noch nicht aufgefallen. Silke Mertins