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Maut für Stockholms Gäste

Nach Oslo führt auch die schwedische Hauptstadt Straßengebühren ein. Gewinnerin ist nicht die Umwelt, sondern der Betonpistenbau  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Ab 1999 ist es aus mit der freien Fahrt für freie SchwedInnen. Zumindest, wenn sie nach Stockholm fahren wollen und dabei nicht auf das eigene Auto verzichten. An der Zollstation wartet dann das Körbchen fürs Kleingeld, das automatische Lese- und Abbuchgerät für die Kreditkarte und die Kamera für die SchwarzfahrerInnen. Einmal Stockholm Innenstadt hin- und zurück kosten dann 20 Kronen. Das sind umgerechnet etwa 4 Mark 50. Und Schwarzfahren schlägt künftig mit mindestens dem Zwanzigfachen Preis zu Buche.

Endlich ein großer Schritt für den Umweltschutz, abgasfreiere Innenstadtstraßen, weniger Autoverkehr und mehr Platz für FußgängerInnen und RadlerInnen, könnte man denken. Doch damit wird es wohl nichts. Denn nicht die Umwelt hat eine Mehrheit der Stockholmer Stadtmütter und -väter dazu gebracht, das seit Ende der achtziger Jahre diskutierte Projekt umzusetzen, sondern das leere Stadtsäckel. Der Autozoll wird so angelegt, daß er kaum jemand zum Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr bewegen wird. Zudem sollen mit der lokalen Kraftfahrzeugsteuer neue Straßen gebaut werden.

Gedacht war das Ganze einmal ganz anders. Bei den ersten Diskussionen über innerstädtische Autogebühren hatte man noch an eine Verringerung des Individualverkehrs auf vier Rädern gedacht. Da sollten die Gebühren empfindlich hoch sein. Für ein monatlich geltendes Zollticket sollte es als Gegenleistung eine Monatskarte für U-Bahnen und Busse geben. Für jeden, der eins und eins zusammenzählen konnte, hätte es sich gerechnet, die eigene Blechkiste vor den Toren der Stadt auf den großen Park-and-Ride-Plätzen stehenzulassen und sich mit dem schon jetzt vorbildlich ausgebauten U-Bahnnetz in die Innenstadt befördern zu lassen.

Wer jedoch ab 1999 ohne grüne Gedanken im Hinterkopf rechnet, bleibt im Auto sitzen und bezahlt seine 20 Kronen an der Mautstelle. Das ist ungefähr der Preis für eine U-Bahnfahrkarte hin und zurück. Und selbst wer nur im Fernverkehr Stockholm durchfahren will, wird sich hüten, den 20 Kilometer langen Umweg über eine der Umgehungsstraßen zu machen: Die Fahrt durch die Stadt ist trotz Straßenzoll immer noch billiger. Jetzt steht zu befürchten, daß KommunalpolitikerInnen aus anderen Teilen Europas Stockholm als Vorbild darstellen – schließlich hat die Stadtmaut bei vielen Menschen noch ein „grünes“ Image.

Tatsächlich aber können die AutofahrerInnen in der schwedischen Hauptstadt sicher sein, daß ihre Kronen dazu beitragen, Stockholm mit neuen Straßen- und Tunnelprojekten noch autogerechter zu machen: 12 bis 15 Jahre lang sollen Tausende von Straßenarbeitern beschäftigt werden. Sie werden zehn Milliarden Mark vergraben für das in Schweden heftig umstrittene „Dennis-Paket“ – benannt nach dem Exreichsbankchef Bengt Dennis, der es vor Jahren als Beschäftigungspaket für die Arbeitlosen des Konjunkturtiefs entworfen hatte.

Daß da eine einst gute grüne Steueridee zu einem Unsinnsprojekt verkommen ist, hat politisch mit den wechselnden Mehrheitsverhältnissen im Rathaus von Stockholm und wirtschaftlich mit dem Vorbild aus Oslo zu tun, wo sich eine ähnliche Autozollkonzeption zur sichersten Geldmaschine des Landes entwickelt hat. Norwegens Hauptstadt war die erste, die Anfang der neunziger Jahre einen hermetisch dichten Ring um die Innenstadt legte, der sich nur gegen bare Münze für den Privatautomobilisten öffnete.

In Norwegen gab es allerdings schon eine jahrelange Tradition mit Wegzöllen. Neue Tunnel- und Brückenprojekte in dem aus geographischen Gründen verkehrstechnisch schwer erschließbaren Land wurden seit einigen Jahrzehnten durchweg mit Nutzergebühren finanziert. An rund fünfzig Stellen im Lande müssen AutofahrerInnen heutzutage löhnen. Und in die drei größten Städte Oslo, Trondheim und Bergen geht die Einfahrt nur an der Zahlstation vorbei. Am Anfang gab es in Oslo sogar Bombenanschläge und Sabotageakte, doch die Attacken legten sich schnell. Und auch die SchwarzfahrerInnenrate hat sich auf unter 0,1 Prozent eingependelt, nachdem sich herausstellte, daß das Überwachungssystem effektiv war.

Oslos AutofahrerInnen zeigen sich mittlerweile mehrheitlich zufrieden mit dem Bezahlsystem. Die Zahl der Staus hat deutlich abgenommen. Der Verkehrsfluß ist besser geworden, Parkplätze sind leichter zu bekommen. Was aber nicht etwa damit zusammenhängt, daß ein massenhafter Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr stattgefunden hätte – der Autoverkehr hat nicht um einen Prozentpunkt abgenommen. Aber mit den an den Mautstellen eingenommenen Millionen werden Darlehen für neue Straßenprojekte finanziert. Der Verkehr verteilt sich jetzt stärker.

Die Umwelt aber hat auf diese Weise gleich doppelt verloren: Zum einen geht die Menge der Autoabgase mitnichten nicht zurück. Und zum zweiten wird auf diese Weise weiteres Land für die neuen, autogerechnten Beton- und Asphaltschneisen versiegelt.

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