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Balsam für die Nerven

Zweiundzwanzig notorische Autofahrer testeten die unterschiedlichen Belastungen beim Straßenverkehr und in der S-Bahn. Ergebnis: Autofahren belastet Herz und Kreislauf deutlich mehr  ■ Von Gereon Asmuth

Das Blutdruckmeßgerät schnürt, kaum angelegt, den linken Arm ab. Ein Druckluftschlauch läuft über die Schulter zum Aufzeichnungsgerät in der Gürteltasche. Aus der Hosentasche quellen die Kabel der fünf Meßdioden, die der Testbegleiter auf die frischrasierte Brust geklebt hat. So wird auch die Herzfrequenz gemessen. Rundumverkabelt und begleitet von einem protokollierenden Betreuer, geht die Fahrt zur Redaktion. Jedoch nicht auf dem kürzeten Weg mit der U-Bahn. Ein kleiner Umweg muß sein, denn schließlich geht es um den Streß-Test der S-Bahn GmbH.

„S-Bahn statt Stau“ hieß die Aktion, in deren Rahmen 22 Freiwillige mit einem Durchschnittsalter von 33 Jahren mit den Meßinstrumenten versehen wurden, um ihre Belastung bei der Fahrt zur Arbeit zu messen. Je einen Tag sollten die Testpersonen mit der S-Bahn fahren, den nächsten Tag am Steuer ihres Pkw verbringen. Alle sechs Minuten wurden der Blutdruck gemessen, die Herzschläge permanent aufgezeichnet.

Mein Begleiter notiert die Wartezeiten auf den Bahnsteigen und die Fülle der Züge. Die zeigen sich heute von ihrer besten Seite und bieten prompte Anschlüsse. Beim zweiten Umsteigen jedoch rauscht die Bahn heran, während wir noch zum nächsten Bahnsteig flitzen. Nach dem Treppenspurt erreichen wir die Zugtüren kurz vor dem Schließsignal. Das Herz pocht unter den Dioden.

„Blutdruck und Puls stiegen deutlich beim Umsteigen“, berichtete gestern Prof. Karl-Ludwig Schulte, Herz- und Kreislaufspezialist an der Berliner Charité und Leiter des Tests, bei der Vorstellung der Auswertung. „Diese überdurchschnittliche Belastung zeugt aber auch von der Untrainiertheit der Autofahrer“, weiß der Mediziner. Die anfallende körperliche Bewegung sei daher ein zusätzlicher Gesundheitsaspekt beim S-Bahn-Fahren.

Die notorischen Autofahrer waren anfangs durch den für sie ungewohnten Umgang mit den öffentlichen Verkehrsmitteln überfordert, berichtet mein Begleiter von anderen Versuchspersonen. Meist hätten sie sich aber dann noch schnell zurechtgefunden, was sich in den Meßergebnissen niederschlägt. Die bei der Heimfahrt aufgezeichneten Meßergebnisse fielen schon deutlich niedriger aus als am Morgen. Im Vergleich zum täglichen Streß des Autofahrens, meinte Anette Mischla, eine der Testfahrerinnen, sei die S-Bahn geradezu „Balsam für die Nerven“.

Die Autofahrt am zweiten Tag beginnt mit einer ruckelnden Kupplung, im Rückspiegel die Drängler. Mein Protokollant notiert sich jede Kleinigkeit. Am liebsten wär' ihm ein Stau, aber selbst bei der Parkplatzsuche gibt es keine Probleme. Nur die Extra- Blutdruckmessung an der roten Ampel, für die ich Jacke und Gurt öffnen muß, ist etwas nervig. Ansonsten bleiben mir die Streßspitzen erspart.

Bei anderen Autofahrern waren die Ergebnisse eindrucksvoller. Ihr Blutdruck stieg in Extremsituationen auf bis zu 200. Normal ist ein Tagesdurchschnitt von 135. Die Herzfrequenz eines Fahrers stieg nach einer Vollbremsung von 76 auf 150 pro Minute. Diese Werte wurden bei den S-Bahn-Fahrten auch in überlasteten Zügen oder beim hektischen Umsteigen nicht annähernd erreicht. „Gerade die kurzfristigen Spitzenwerte stellen aber die eigentliche Belastung dar“, betonte Prof. Klaus-Ludwig Schulte. Wilfried Kramer, Marketingchef der S-Bahn GmbH, bezeichnete das Ergebnis der Untersuchung als vollen Erfolg. Auch bei den Mittelwerten bestätigt sich das von den Auftraggebern erwartete Ergebnis. Blutdruck und Pulsfrequenz sind vor allem in der Innenstadt bei den Zugreisenden deutlich niedriger. Nur zwei Autofahrer wurden durch die Zugfahrten stärker belastet. Sie waren auf ihrem Weg zum Arbeitsplatz über die kilometerlang schnurgerade Avus nach Potsdam gefahren. Ganz entspannt bei Tempo 100 auf der rechten Spur.

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