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Produktionsfaktor Mensch

■ Zur Rekonstruktion einer planmäßigen Umgestaltung des SozArt-Künstlers: Das Essener Folkwang-Museum zeigt sowjetische Bilder aus den Jahren 1928-1945

Als Oberster Sowjet und Zentralkomitee 1928 den ersten Fünfjahresplan für die Sowjetunion beschlossen, waren die Künstler gefragt. Einmal mehr bestimmte die ökonomische auch die ästhetische Produktion: Es galt, Millionen von Arbeitern dazu zu bewegen, an den Veränderungen, die das Mammutprojekt beinhaltete, mitzuarbeiten.

Die sich so gewaltig wie rasant entwickelnde Industrie brauchte den motivierten Produktionsfaktor Mensch. Daß in dieser Situation die Weitergabe von Informationen von zentraler Bedeutung war, verschaffte vor allem den FotografInnen ungeahnte Möglichkeiten. Wie sie genutzt und verschenkt wurden, zeigt noch bis zum 7. Januar die erste umfassende Ausstellung zur sowjetischen Fotografie und Malerei jener Epoche im Essener Museum Folkwang. Unter der sehr plakativen Überschrift „Glaube, Hoffnung – Anpassung“ beschreibt der Titel letztlich doch nur recht genau die künstlerische Gesamtentwicklung während der Zeit der drei ersten Fünfjahrespläne. Ab 1928 nämlich vollzog sich ebenfalls, was Alexander Rodtschenko später die „Umgestaltung des Künstlers“ nennen sollte. Mitglieder der russischen Avantgarde, unter ihnen Rodtschenko selbst und El Lissitzky und Warwara Stepanowa, Valentina Kulagina und Sergej Senkin, wandten sich von der Abstraktion ab und den realistischen Darstellungsformen wieder zu.

Was anmutet, als hätte sich binnen kurzer Zeit der Fortschrittsglaube in der Anpassung an die Forderungen der politischen Führung verabschiedet, markierte tatsächlich den Beginn einer konservativen Grundstimmung. In der Essener Ausstellung wird jedoch deutlich, wie darin zugleich der hoffnungsvolle Versuch vieler KünstlerInnen lag, über eine massenwirksame Bildsprache den Kontakt zum Volk zu halten, ohne die eigenen visuellen Experimente aufgeben zu müssen.

„Die Bilder jener Zeit“, weiß die in New York lebende russische Gastkuratorin Margarita Tupitsyn, „zeigen einen ungeheuren Enthusiasmus der Massen und durch die oft angewandte Form der Fotomontage auch die avantgardistische Fragmentierung, die Vermeidung des erzählenden Serienbildes.“ Ab 1933 begann die sowjetische Führung mit Beginn des zweiten Fünfjahresplanes diese avantgardistischen Elemente zu verhindern. Gefragt war nicht mehr Pioniergeist, sondern heroische Stimmung und ideologische Motive.

Die Namen der in Essen gezeigten KünstlerInnen wandelten sich trotz der veränderten Anforderungen kaum. Allein an den ausgestellten Werken läßt sich ablesen, wie weit sie sich anpassen, wie stark sie sich an die veränderten Massenmedien verkaufen mochten. Alexander Rodtschenko etwa bemühte sich auch weiterhin, die kompositorischen Prinzipien des Konstruktivismus mit den neuen Anforderungen an die Bildinhalte zu verbinden. El Lissitzky hingegen komponierte mit der „Roten Armee der Arbeiter“ 1934 eine Montage, die der zeitgleich im Deutschen Reich angeordneten Propagandakunst weder formal noch inhaltlich nachstand.

Lissitzky, Kulagina und Kluzis waren auch an der Gestaltung der russischen Pavillons für die Weltausstellungen 1937 in Paris und 1939 in New York beteiligt. Mit Inkrafttreten der neuen sowjetischen Verfassung von 1937 war Stalins Herrschaft absolut. Das gesamte Leben in der Sowjetunion richtete sich zentral auf ihn aus. „Rückblick auf die Siege der Sozialistischen Landwirtschaft“ heißt ein 1940 von Max Alpert herausgegebenes Propagandabuch, das ebenfalls in Essen zu sehen ist. Auf einer Doppelseite winken strahlende Menschen aus zahlreichen sowjetischen Staaten unter der entrückt abgewandten Stalin-Fahne. Der Krieg hatte längst begonnen, er beendete auch den dritten Fünfjahresplan.

Auf die Industrialisierung und Kollektivierung folgte die Mobilisierung. Kriegsberichterstattung und antifaschistische Arbeit traten an die Stelle der ökonomisch begründeten Propaganda. An dieser vermeintlichen Bruchstelle bestätigen sich These und Sinn der Essener Ausstellung: Glaube, Hoffnung – Anpassung funktionieren weiter. Die den Staat unterstützende Kontinuität der Kunst korrumpiert auch die vermeintliche Avantgarde. Stefan Koldehoff

Glaube, Hoffnung – Anpassung. Sowjetische Bilder 1928-1945; bis 7. Januar 1996 im Museum Folkwang, Essen; 15. 2.–7. 4. 96 im Württembergischen Kunstverein Stuttgart.

Katalog beim Plitt Verlag, Oberhausen.

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