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Vor der Bewährungsprobe

Die Rückkehr der Vertriebenen ist das größte Problem bei der Umsetzung des Dayton-Abkommens. Die Finanzierung ist ungewiß  ■ Aus Genf Andreas Zumach

In London beginnt am heutigen Freitag nachmittag eine zweitägige Konferenz zur Umsetzung der zivilen Teile des Bosnien-Abkommens von Dayton. Geklärt werden sollen Details und Zuständigkeiten für den Wiederaufbau Bosniens, die Durchsetzung der Menschenrechte, die Rückführung von Flüchtlingen sowie die Vorbereitung und Durchführung von Wahlen. Ausgespart bleibt zunächst die Frage der Finanzierung dieser Maßnahmen.

Teilnehmen werden neben den Außenministern Bosniens, Serbiens und Kroatiens sowie der fünf Kontaktgruppenstaaten (USA, Rußland, Frankreich, Großbritannien, Deutschland) US-Chefunterhändler Richard Holbrooke, UNO-Generalsekretär Butros Ghali und dessen Sonderbeauftragter für Exjugoslawien, Kofi Annan, sowie die Flüchtlingshochkommissarin der UNO, Sadako Ogata; ferner der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Ayalo Lasso sowie die bisherigen Vermittler von UNO und EU in Exjugoslawien, Thorvald Stoltenberg und Carl Bildt. Bildt soll in London zum Sonderbeauftragten für die Umsetzung der zivilen Teile des Abkommens gekürt werden.

Zum Auftakt der Konferenz wird der Nato-Oberbefehlshaber und künftige Kommandeur der Nato-geführten internationalen Truppe (IFOR), US-General George Joulwan, die Teilnehmer über den Stand der militärischen Vorbereitungen unterrichten.

Im Dayton-Abkommen bereits festgelegt ist die Zuständigkeit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) für die Überwachung und Durchführung der Wahlen. Auch ist daran gedacht, der OSZE – möglicherweise gemeinsam mit der Europäischen Union – die Zuständigkeit für die Beobachtung der Menschenrechtssituation zu übertragen.

Auf der gestrigen OSZE-Außenministertagung in Budapest wurde allerdings deutlich, daß die OSZE mit diesen Aufgaben überfordert ist, wenn ihr die Mitgliedstaaten für die Bosnien-Mission nicht zusätzliche Finanzmittel und Personal zur Verfügung stellt. Bislang hat die Wiener OSZE-Zentrale für die Bosnien-Mission 24,5 Millionen US-Dollar und knapp 300 Stellen vorgesehen.

Die Durchführung von freien Wahlen, die laut Dayton-Abkommen spätestens im August 1996 stattfinden sollen, gilt als „besonders schwierige Aufgabe“. In der Genfer Zentrale des UNHCR, das auf der Londoner Konferenz die Federführung für das Programm zur freiwilligen Rückkehr der rund drei Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen erhalten soll, hält man den Zeitpunkt für viel zu früh. Die Erwartung, daß bereits innerhalb der nächsten neun Monate ein nennenswerter Anteil der drei Millionen Menschen in ihre Heimatorte zurückkehrt, sei ebenso unrealistisch wie die Vorstellung, Millionen Menschen im Ausland am Wahlkampf und den Wahlen teilhaben zu lassen. Wahlen im Sommer nächsten Jahres würden auf einer völlig verzerrten demographischen Grundlage stattfinden und die derzeitige ethnische Trennung der Bevölkerung noch weiter zementieren.

Klar ist: Soll es überhaupt zu einer freiwilligen Rückkehr von Bosniern in nennenswertem Umfang kommen, muß die internationale Gemeinschaft den Flüchtlingen und Vertriebenen glaubhafte Sicherheitsgarantien und umfangreiche materielle Anreize bieten.

Für den Wiederaufbau zerstörter Häuser und Infrastruktureinrichtungen müssen Flüchtlingen ebenso ausreichende finanzielle Hilfen in Aussicht gestellt werden wie zur Sicherung des Lebensunterhaltes, zumindest bis in Bosnien wieder eine zivile Wirtschaft mit bezahlten Arbeitsplätzen existiert.

Dies alles kostet viel Geld. Die Weltbank beziffert die Kosten des zivilen Wiederaufbaus auf mindestens 4,3 Milliarden US-Dollar für den Zeitraum von drei Jahren. Die EU geht von vier Milliarden Ecu (ca. 6,4 Milliarden Franken) in den nächsten vier Jahre aus. Das UNHCR geht von 500 Millionen Dollar Kosten für ein Zweijahresprogramm zur Rückführung der Flüchtlinge aus. Die Bereitschaft der EU-Staaten und der USA, das benötigte Geld für die Umsetzung der zivilen Teile des Dayton-Abkommens auch bereitzustellen, ist allerdings bislang nicht sehr ausgeprägt. Die EU-Staaten wollen lediglich ein Drittel der Kosten bezahlen, die beiden anderen Drittel sollen von den USA beziehungsweise Japan und den islamischen Staaten getragen werden. Die Clinton-Administration hat sich unter Verweis auf ihren hohen Kostenanteil bei der IFOR jedoch nur zur Übernahme von zwanzig Prozent der Kosten bereit erklärt. Wegen des Streits zwischen Washington und Brüssel wurde eine ursprünglich noch für Dezember vorgesehene Spenderkonferenz erst einmal auf Januar verschoben.

Entgegen anderslautender Meldungen und von Frankreich geschürter Erwartungen werden in London keine Veränderungen oder Zusätze zum Dayton-Abkommen verhandelt werden. Auch nicht über die von den Karadžić-Serben heftig kritisierte Regelung des Abkommens für Sarajevo.

Darüber haben sich Paris und Washington mittlerweile verständigt. Möglicherweise werden in London weitere vertrauensbildende Maßnahmen beschlossen, wie die Anfang der Woche zwischen UNHCR und bosnischer Regierung vereinbarte Eröffnung von UNHCR-Büros in den Stadtteilen Sarajevos, die die Milizen und Polizeikräfte der Karadžić- Serben laut Festlegung im Dayton-Abkommen innnerhalb der nächsten hundertzwanzig Tagen räumen müssen.

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