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Mode mit Trick

■ „Quick Change“, die andere Modenschau im Chamäleon von Miriam Lamberth

„Sie sollten mal etwas für ihr Gesicht tun.“ Der Monsieur mit gezwirbeltem Schnäuzer streicht kennerhaft um das Kinn der Mittdreißigerin. „Kommen Sie auf meine Beauty-Farm!“ Die Mittdreißigerin trägt's mit Fassung. Denn, ein Glück, Pierre Skirurg De Lift versorgt auch ihre blühendjunge Nachbarin mit seiner Visitenkarte: „Beauty-Farm, Bullshit City, Idaho“.

Aufgekratztes Gackern dringt durch den alten Jugendstilsaal des Chamäleons. Eine dralle Dame mit silbernen Clips im Haar faßt ihren Bademantel fester, hastet suchend nach ihrem Producer. Eine andere sitzt mitten im Publikum vor ihrem aufgeklappten Schminkköfferchen und gibt ihrer Lippenkontur den letzten Schliff.

Da stürmen sie auf die Bühne. Etwa zehn Frauen, kleine und große, proppere und schlanke, erklimmen den Laufsteg. Zu rockigen Rhythmen zwängen sie sich unter Frotteeumhängen in Hosen und Röcke, T-Shirts und Jacken. In ihrer Mitte liegt eine Frau auf dem Rücken und jongliert Koffer auf ihren Füßen. Seilartisten und Jongleure, Zauberer und Bauchtänzerinnen. Mode in Bewegung, eine Show, gewebt aus Nylon, Lycra und Artistik.

„Quick-Change“, eine Modepräsentation der anderen Art im Chamäleon. Eine Antimodenschau. Die Models, verrät Hacki Ginda, sind keine Profis, nein, nein. Fünf Tage die Woche arbeiten sie bei Möbel Hübner.

Aber klar doch. Natürlich sind sie Artistinnen und tragen die Kollektion über die Bühne. Dem gängigen Schönheitsideal entsprechen die meisten von ihnen nicht. Und doch trägt die üppige Cindy das enge Stretchkleid mit vollendeter Würde über den Laufsteg, präsentiert die schwangere Natascha den PVC-Anzug mit Selbstbewußtsein.

„Wir wollen nicht provozieren“, sagt Deta vom Chamäleon, „sondern ganz normalen Frauen das Gefühl geben, daß jede etwas Tolles tragen kann, wenn sie sich nur richtig bewegt.“ Gemeinsam mit der Designerin Miriam Lamberth und Chamäleon-Chef Hacki Ginda hat sie die Show inszeniert. „Ich möchte einen Strich durch das Ideal machen“, sagt Miriam Lamberth. Mode, die Pölsterchen zeigt, nicht kaschiert. Mit „Quick- Change“ inszenierte die 26jährige Designerin ihren Wiedereinstieg als Modemacherin in Berlin. Sieben Jahre lang hat die Berlinerin in New York gelebt. „Das ist mein Pflaster“, sagt sie, „es ist eine Stadt voller Gegensätze, voller Vielfalt. Das merkt man auch in der Mode. Hier dagegen muß alles immer so Super-super-Avantgarde sein.“ Während ihres Designstudiums in New York arbeitete Miriam Lamberth an Kollektionen für Ralph Laureen, H&M und Liz Claireborne mit. Irgendwann 1993 eröffnete sie einen eigenen kleinen Laden: die Firma RAIN.

Seit drei Monaten ist sie wieder in Berlin. Den Kopf voller Anregungen für Mode, die tragbar ist und billig, dennoch witzig und chic. Streetwear für jede Frau. Schon weil sich in Berlin soviel tut, soviel verändert, wollte sie wieder zurück. Die neue Kollektion ist bereits ihre vierte. Vorbei die Zeiten, in denen sie sich für den Girlie-Stil begeistern konnte. „Eigentlich war dieser Stil eine gute kleine Idee, doch als jede Hausfrau in kurzen Röckchen und T-Shirts mit rosa Teddys drauf rumlief, konnte ich es nicht mehr sehen.“

Jetzt setzt sie auf einfache Schnitte, leuchtende Farben, graphische Muster. Enge Stretchkleider etwa mit einem großen Punkt drauf oder einem breiten Streifen. Leggings aus Lycra mit einem riesigen Punkt über dem Schritt (die G-Punkt-Hose). Miriams Mode soll bequem sein. Klamotten, die gebraucht aussehen und erst durchs Tragen einen eigenen Charakter bekommen. Nylon, Lycra, sogar PVC sind deshalb ihre Stoffe. Brüllend orangefarbene Nylonoveralls schweben über die Bühne. Models in roten PVC- Anzügen, einen Plastikrucksack um die Schulter gehängt, gleich hinterher.

Black and white. 15 Models in schwarzweißen Stretchkleidern tanzen über die Bühne. Die Mode wirkt in der Formation, in der Inszenierung. Aber auf der Straße? „Man braucht eine Weile, um die Sachen zu verstehen“, sagt Miriam Lamberth, „auch die Artisten haben erst gesagt: Damit soll ich auf die Bühne? Nachdem sie es ein paarmal getragen hatten, haben sie den Reiz daran entdeckt.“ Wenig spektakulär wirken ihre Sachen. Und so soll es auch sein. Es geht ihr um Mode auf den zweiten Blick. Gezieltes Understatement.

Demnächst eröffnet Miriam Lamberth ihr Atelier in Prenzlauer Berg. Eine Fabriketage hat sie bereits gefunden. Dort wird sie vor allem für den Großhandel produzieren. Ab und zu gibt es Verkaufspartys, vielleicht Termine nach Absprache für Privatkunden. Aus der Berliner Modeszene möchte sie sich soweit wie möglich raushalten. „Da läuft man schnell Gefahr, mit einer bestimmten Richtung über einen Kamm geschoren zu werden“, sagt sie. Nein, sie will lieber ganz auf eigenen Beinen stehen. Alles, was nach Trend riecht, kann sie ohnehin nicht leiden. „Ich mag Mode eigentlich nicht.“ Wie bitte? „Oder das, was man unter typischer Modeszene versteht. Wenn Mode hochstilisiert wird, bringt mich das zum Erbrechen“, sagt sie. „Es ist toll, wenn die Leute Mode machen, weil sie Spaß daran haben und gerne witzig aussehen. Aber Mode ist eben nicht alles im Leben.“ Anja Dilk

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