■ Axel Schulz verlor, und schon flogen Champagnerflaschen: Boxen ist nicht Boxen
Was ist schlimmer, Burkhard Weber? Daß Axel Schulz den Boxkampf um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht verloren hat oder das andere? „Das was danach war“, sagt der Sportchef des mitveranstaltenden Privatsenders RTL, „ist das Schlimmste an diesem ganzen Abend.“
Was danach war: Ein Hagel fliegender Schampusflaschen in Richtung Ring vergeudet weniger das 95-Mark-Gesöffel, als er Menschen gefährdet und verletzt. Ach was, wenn's nur Menschen gewesen wären. Es waren VIPs! Jedenfalls Leute auf den teuren Plätzen. Und da stöhnen wir zurecht mit auf: Seit wann erwischt es die? Macht sich auch im Fernsehen nicht ganz so gut. Während also in der Stuttgarter Halle nach Ärzten geschrien wurde, Blutende davongebracht wurden und Leute unter Schock Schutz suchten hinter Absperrungen und Stühlen, ging auch der Fernsehsender in Deckung. „Schneyder, verzieh dich“, konnte man dem mächtig beschossenen Kommentator noch ins Ohr flüstern, dann war Schluß.
Ob es die neue Boxklientel war, die die Nerven verloren hat? Wahrscheinlicher mag sein, daß es die alte war, zumal jene aus Menschen besteht, für die ein unangenehmer Ausgang des Kampfs auch mit erheblichen finanziellen Verlusten einhergeht.
Für die am RTL-Bildschirm konnte die RTL-Gestalt Schulz zwar geschlagen, aber unversehrt davonschleichen, und die nachgeschaltete Werbung spülte etwaige Zweifel am fiktionalen Charakter der familienfreundlichen Gewalttätigkeit im Ring vollends weg – so wie Alpecin die Schuppen aus Henry Maskes Haar. Vielen in der Halle aber waren die Aggressionen weder so recht von Schulz in Bothas Schnauze entladen worden, noch wenigstens durch ein Urteil, daß dies suggeriert hätte.
Was heißt: Boxen ist nicht Boxen. Mag man aus der Ferne das Handwerk des Ins-Gesicht-Hauens in ein deutsches Gesamtkunstwerk verklären können. Echte Auskünfte über das Qualitätsniveau seiner Zivilisation kriegt man nach wie vor am Ort der Tat. Mag sein, daß einige der von der flauschigen Fernsehwelt Gelockten und nun Geschockten angesichts des Realitätsschocks nicht wiederkommen werden — brauchen sie auch nicht. Im Fernsehen sieht man eh besser. Womm: Und noch mal lustig in Zeitlupe jeden Kopfkracher. Peter Unfried, Stuttgart
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen