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„Wo samma mir?“

Beim Grand Slam Cup werden Tennisspieler beguckt wie „exotische Viecherln“  ■ Aus München Albert Hefele

München ist kalt. Die grauen Zeltdächer der olympischen Stätte erinnern an die gefrorenen Wogen eines bleiernen Meeres. Im Inneren der Halle sind die Temperaturen hoch genug. Trotzdem fällt es schwer, sich für den Grand Slam Cup als sportives Ereignis zu erwärmen.

Das liegt zum einen an den Riesensummen, die im Raum stehen. Kein Veranstalter überhäuft die Teilnehmer an einem Turnier dermaßen protzig mit Antritts- und Preisgeldern. Pete Sampras waren zum Beispiel, bereits nachdem er den ersten Ball geschlagen hatte, 600.000 US-Dollar sicher: 100.000 für die Teilnahme an der ersten Runde und zweimal eine Viertelmillion aus dem Töpfchen, das für die Grand-Slam-Gewinner bereitstand. Einziger Arbeitsaufwand: überhaupt beim Turnier anzutreten. Eine schöne Gelegenheit für die Profis, ihren Kontostand aufzubessern, und alle Mühe wert, sollte man meinen. Dem Sieger winkt immerhin noch eine 1,5-Millionen- Dollar-Wurst, für die sich die Vertreter der meisten anderen Sportarten mit Hingabe die Seele aus dem Leib hecheln würden.

Die Großen der Tennisbranche stehen solchen Geldern gelassen gegenüber. Sogar der noch junge Jewgeni Kafelnikow fand es nicht der Mühe wert, sich für eine Finalteilnahme zu zerreißen. Wen wundert es, daß sich meist die Vertreter aus der zweiten Reihe um den Pokal balgen? Diesmal erreichte der sonstige Hinterbänkler Todd Martin das Finale und unterlag Goran Ivanisević, der mittlerweile auch noch so gerade zu den besten Zehn der Welt gehört.

Wenigstens ein bekannter Name. Im großen und ganzen auch annehmbares Tennis. Aber: Es ist keine Leidenschaft spürbar. Weder bei den Spielern noch beim Publikum. In München identifiziert man sich, wenn überhaupt, mit einer der großen Fußballmannschaften. Tennisspieler werden beguckt wie exotische Viecherln; nur Boris Becker kann so etwas wie Emotionen lostreten.

Im Grunde ist das sportliche Ereignis nicht übermäßig wichtig. Wenn der Münchner seinen Platz gefunden hat („Wo samma mir?“), sitzt er wohl eine Weile brav in der Arena. Eigentlich schlendert er aber lieber durch das reichhaltige Waren- und Gastronomieangebot, das nur mühsam an den Pforten des sportlichen Bereiches haltmacht. Eine Osteria tut so, als sei sie direkt aus dem Piemont eingeflogen. Etwas, das sich Matahari- Beach nennt, hat traurig blickende Indonesierinnen in Landestracht zu bieten. Bierstände, Cappuccino-Theken, Eis, Snacks, Schilder, auf denen steht: „Während der Spiele bitte Ruhe!“

Sehr witzig. Je länger die Matches dauern und je uninteressanter die beteiligten Akteure sind, desto stärker wird das Hintergrundgeräusch. Gläser klirren, Lieder klingen, und ein sanfter Duft von Pizza liegt über dem Court. Nun gut: New York hat seinen Fluglärm, München hat dafür eine Menge Logen zu bieten. Ganz nahe und rund um den Platz waben die grün-roten Viersitzer. Wer das seinen Geschäftsfreunden bieten kann, hat gewonnen. Bosch-Haushaltsgeräte, Finanz- und Wirtschaftsberatung, Munich-Lounge.

In den Spielpausen quellen fesch gefönte Herren mit ihren kurzberockten Damen aus den Boxen. Immer eine Hand in der Tasche, die andere zerrt an der Krawatte. Aber auch einer der großen Tenöre zeigt sich. Ist das nicht Naomi Campbell? Nein, es ist die allgegenwärtige Babs Becker. Die wahrscheinlich doch schon wieder schwanger ist. Würde sich sonst ihr Boris so vehement über den Supreme-Belag wälzen? Die brauchen das Geld!

Trotz Becker-Hecht: Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dem Ereignis Grand Slam Cup zuallererst das Herz fehlt. Und wirkliche Substanz, die aus der Leidenschaft für einen Sport und dem daraus resultierenden dringenden Wunsch, ihn möglichst vielen Menschen nahezubringen, herrührt. Axel Meyer-Wölden hat den dringenden Wunsch, eine Menge Geld umzusetzen. Nichts Ehrenrühriges mehr heutzutage. Großer Sport funktioniert, ob man will oder nicht, nur noch auf dieser Basis. Der Chairman des Grand Slam Cups möchte sich aber auch ein Denkmal und ein großes Turnier in die Welt setzen. Die klassischen Turniere sind andersherum gewachsen: erst der Sport und dann das Geld. So wachsen Traditionen und entwickelt sich Atmosphäre.

Meyer-Wölden denkt, er kann mit viel Geld Bedeutung aus dem Boden stampfen. Das wird wohl nichts werden. Er hat zwar mit vielen Vitaminen und pappigen Süßigkeiten einen auf den ersten Blick imposanten Balg herangezogen, der in seinem Grand-Slam-T- Shirt rund und rotbackig auf dem Sofa sitzt. Doch leider ist das Kind nur fett. Ihm fehlen Muskeln, und die Knochen sind brüchig. Es wird nicht sehr lange leben.

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