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Blinde Blicke

■ „Das Porträt“, eine sehenswerte Schau in der Lichtbild-Galerie

Suchen die Menschen, wenn sie ein Porträt betrachten, das Unverwechselbare, das Einmalige in den Gesichtszügen des Porträtierten? Ist es nur ein gekünsteltes Lächeln, oder enthüllt die Fotografie auch etwas vom wahren Ich? Die alten Fragen an die Porträtfotografie stellen sich immer wieder neu. Ihre ungebrochene Aktualität erweist sich jetzt wieder in einer Schau der „Lichtbild-Galerie“ in Worpswede. Zehn FotografInnen, quer durch die Geschichte der Lichtbildkunst, zeigen dort die Gesichter von mehr oder weniger Berühmten, von Bühnenstars und Bergarbeitern, von Lebenden und Toten.

Im Mittelpunkt der hochkarätigen Schau stehen die Serien von Rudolf Schäfer „Der ewige Schlaf“ und von Walter Schels „Die Blinden von Hamburg“. Schäfer fotografiere Tote in der Berliner Charité. Eine stille Entspanntheit liegt in deren Zügen, eine Ruhe, der alle Anspannungen des bewegten Lebens gewichen sind. Das übliche Psychologisieren, das die Betrachter von Porträts gerne anstellen, um aus der Minik etwas über den Charakter herauszulesen – hier kann es nicht funktionieren. Gleiches gilt für Walter Schels' Blindenbilder. Der Blick der Dargestellten hat sich nach innen gekehrt, der Blickkontakt zum Betrachter ist gebrochen. Mehr noch: Der Hinweis auf das verlorene Augenlicht entlarvt den Betrachter als Voyeur.

Von den Konventionen der Porträtkunst weicht auch Andrej Reiser in seinen Prominentenfotos ab. Reiser hatte eigentlich den Auftrag, eine Reihe von AutorInnen für den Suhrkamp-Verlag abzulichten, natürlich in möglichst günstigem Licht. Im Anschluß an diese offiziösen Sitzungen aber bat er seine Gegenüber noch um einen Moment Geduld und eine weitere Aufnahme. Auf der erkennt man nun bekannte Gesichter ohne die bekannten Posen. Qualtinger zeigt sich da plötzlich als grüblerischer Mensch, und Lore Lorenz, die vor wenigen Jahren gestorbene Grande Dame des deutschen Kabaretts, wirft Reiser (und uns) einen unergründlichen, fragenden Blick zu.

Andere namhafte FotografInnen schließen sich mit ähnlich qualitätvollen, aber anders aufgefaßten Porträts an. So ist Fritz Henle, eigentlich als Meister der Reisefotografie bekannt, mit Porträts der Künstlerin Frida Kahlo vertreten. Henle emigrierte 1936 in die Vereinigten Staaten. Von dort aus hatte er über zehn Jahre lang Gelegenheit, Kahlo und ihren Mann Diego Rivera mit der Kamera zu begleiten. Er stellt Kahlo als die exzentrische Künstlerin dar, die stolz erhobenen Hauptes ihren starken körperlichen Behinderungen trotzt.

Niels Wellbrock

„Das Porträt“, bis 14. Januar in der Lichtbild-Galerie, Neu-Bergedorfer Damm 44a, Worpswede; Fr.-So. 14.00 bis 19.00 Uhr sowie nach Vereinbarung

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