: Nicht Dekor noch Detail
Eine umfangreiche Werkmonographie über den Regisseur und Bühnenbildner Axel Manthey ■ Von Wilhelm Triebold
Den Kinderglauben im besseren Sinne erhielt er sich. „In Halle bin ich auch das erste Mal ins Theater gegangen mit der Schule in das ,Theater der Jungen Garde‘“, so lesen wir in der jetzt vorliegenden Werkmonographie. „Ich kann mich an ein Märchen erinnern, das gespielt wurde. Da sollte ein Kürbis schweben, und ich sah die Schnur, an der der Kürbis hing, und ich dachte, keiner sieht das außer mir, und ich war so stolz, daß ich das durchschaue, daß ich dahintergucke.“
Das Märchen im Theater – entdeckte Illusion. Die Welt als Wille und Vorhang, als gestaltete Vorstellung. Es kommt nicht darauf an, die Welt auf der Bühne abzubilden, sondern sie zu interpretieren. Axel Mantheys Bühnenzaubereien setzten deshalb Zeichen im doppelten Sinne. Sein Theater funktionierte immer nur als Modell der Welt, nicht als deren Ersatz oder Extrakt.
Als der kürzlich verstorbene Regisseur und Bühnenbildner vor Jahren Gisela von Wysockis sperrige Mythen-Etüde „Schauspieler, Tänzer, Sängerin“ (einst in Frankfurt, derzeit wiederaufgenommen in Stuttgart) anschaulich, wenn nicht überhaupt erst spielbar machte, da schweifte er frei umher im hypertrophen Text. Und die Kunstsparten Schauspiel, Tanz und Oper fügten sich, so sehr sie auch neben- oder gegeneinandergestellt waren, zum emblematischen Gesamtkunstwerk. Es war eine programmatische Arbeit von einem, der auszog von der bildenden Kunst über Schauspiel und Tanztheater hin zur künstlichsten aller Künste, zur Oper.
Unter den eigenständigen Inszenierungen hielten sich schließlich Sprech- und Musiktheater die Waage; in den letzten Jahren überwog aber die Neigung zur optischen Fülle der Opernbühne. Nicht zuletzt wohl, weil auf ihr die abgebildete Realität, ob schöner Schein oder grelle Dramatik, mit den Darstellungen und Sangesdarbietungen am schwierigsten in Einklang zu bringen ist. Sofern man das überhaupt vorhat. Es bleibt immer eine Differenz. „Reflektiert nicht das Behaupten der Bühne als einer künstlich geschaffenen Realität die Wirklichkeit des Theaterspiels ehrlicher als ein So-tun- als-Ob?“ fragt Manthey in seiner Polemik „Wider den ideologischen Illusionsraum“. Also tat er nie als ob. Das läßt sich alles fein in dem dickleibigen Band des Residenz Verlages nachlesen, garniert mit zahlreichen Bildern und Illustrationen, die meist für sich sprechen. Die drei Herausgeber reihen Manthey zuerst einmal neben den großen Bühnenbildnern der siebziger Jahre ein. Neben Wilfried Minks und Erich Wonder, neben Karl- Ernst Herrmann und Achim Freyer. Aber anders als die Illusionisten und Detailfanatiker hatte Manthey nie Bedenken gegen die Abstraktion, gegen das magische Zeichen als Stellvertreter. Seine Erfindungen suchten selten ihr Heil im Detail, nie den Teufel im Dekor. Und nichts haßte Manthey dabei so sehr, wie wenn man ihn einen Ausstatter schimpfte.
Manthey, der spielerische Perfektionist. Einige der Autoren, praktizierende Theaterleute zumeist, berichten von seinem Arbeitsbüchlein, erwähnen die kindlich anmutenden Zeichnungen, die als illustre Programmheftbeigaben inzwischen Sammlerwert haben. B.K. Tragelehn, dessen Stuttgarter „Maß für Maß“-Arbeit wichtig für das Bühnenverständnis war, erzählt die Fabel vom Maler, der vor seinen König tritt und mit einem einzigen Pinselstrich eine verlangte Figur zeichnet – nachdem er vier Monate lang Skizzen zum Verbrennen anhäufte. Manthey, der Meister der Reduktion.
Von George Tabori ist überliefert (und schöner kann man diese Anekdote kaum erfinden), er habe Manthey vorgeschlagen, einfach ein Bühnenbild zu erstellen, für das Tabori dann schon das passende Stück schreiben werde. Das Theater auf den Kopf gestellt. Oder, wie Manthey sagt, mit dem Kopf gelöst, was die Theatertechnik sonst als pures Muskelspiel betreibt. Manthey rationierte und rationalisierte. Wie viele der stilprägenden Theaterleute der siebziger und achtziger Jahre aus der DDR kommend, mochte er schließlich den Brechtschen V-Effekt nicht einfach negieren, sondern weiterdenken – wohl am radikalsten, auch konsequenter als sein ebenfalls von der Malerei übers Bühnenbild zur Regie gekommener Antipode Achim Freyer. Spätestens seit dem „Traumspiel“ gehörte er dann auch zu den ganz Großen seiner Zunft.
Die üppige Monographie zeichnet Leben und Werk schlüssig und aufschlüsselnd nach: Zwar werden selbst gestandene Analytiker wie Mantheys jahrelanger Dramaturg, der amtierende Stuttgarter Operndirektor Klaus Zehelein, in ihren Würdigungen mitunter ziemlich gefühlig. Doch das mag bei all der versuchten und erreichten Nähe verständlich sein. Manthey galt immer als ein überaus umgänglicher „Schauspieler-Regisseur“, mit dem angenehm zu arbeiten war. Jürgen Gosch dagegen, aus gebotener Distanz zu einer vor zehn Jahren beendeten Theater-Symbiose, läßt in seinen Beitrag auch Kritisches einfließen. Wobei völlig schnuppe ist, ob oder wo der Partner von einst, mit dem die Einladungen zum Berliner Theatertreffen im Abonnement folgten, nun recht hat. Entscheidend ist, wie sich Mantheys Weg mit seinen Kreuzungen, Gabelungen, Zeichensetzungen nachvollziehen läßt – auch und gerade für dieses Buch.
„Theater“ setzt noch einmal die drei Schwerpunkte: eben Tanz, Schauspiel und Musik. Und als Synthese Mantheys alleinverantwortliche Inszenierungen seit 1983. Der Leser kann sich dabei nicht zu knapp ein eigenes Bild machen, die ausgezeichneten Szenenfotos überwiegen in entsprechender Druckqualität. Und ein mehr als gründlicher Anhang listet chronologisch die Stationen im Leben des Künstlers auf. Kindheit in Halle, Kunststudium in Westberlin, dann ab nach Kassel. Tübinger Gesellenjahre als Bühnenbildner in den Zeiten von '68. Das Glück nebenan in Peymanns Stuttgarter Team, nicht zuletzt in enger Zusammenarbeit mit Alfred Kirchner, sich fortbilden zu können. Henze und „Hamlet“, Forsythe und Bohner. Erst Markierungspunkte, dann Frankfurter Wagner- Großtaten mit der Berghaus und die erste Eigenregie – sinnigerweise eine Märchenoper. Das Markenzeichen: der leuchtende Vorhang. Zeichen und Wunder zugleich. Das eingrenzende Maßband, wie es sich von „Maß für Maß“ über den „Sturm“ bis zum „Menschenfeind“ zieht. Deutende Pfeile. Kothurne und Masken, von „Oedipus“ bis „Siegfried“. Verblüffende Perspektivfluchten. Aufwirbelnde Windhosen aus Sperrsitzen oder Büchern. Die „Zauberflöte“ als komisch überzeichnetes Volksmärchen, 31 avantgardistisch-atemlose „Quijote“-Waffengänge. Klare Bezeichnungen, signifikante Zeichensprache; der „See“ über Woyzecks Marie, „Fortuna“ und „Tempo“, also Glück und Zeit als ökonomisch meisterhafte „Ulisse“-Allegorien, die „Nacht“ vorm versuchten heiligen Antonius, dem Vorzugsschauspieler Ulrich Wildgruber.
Viel Zeit blieb dem Regisseur danach nicht mehr. Als Grund für die Werkschau führen die Herausgeber Axel Mantheys 50. Geburtstag und sein 25jähriges Bühnenjubiläum an. Doch durch einige Beiträge, etwa des langjährigen Weggefährten und Frankfurter Ballettchefs William Forsythe, weht wie ein Todeshauch bereits die Gewißheit, daß noch vor Drucklegung des Buches Mantheys Werk als abgeschlossen zu werten war. Ein halbes Jahr nach seinem Fünfzigsten, am 29.Oktober dieses Jahres, starb Axel Manthey in Tübingen an den Folgen der Immunschwäche Aids.
Axel Manthey: „Theater“. Herausgegeben von Carsten Ahrens, Gerhard Ahrens und Alexander Lintl. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1995. 472 Seiten, 200 DM. Ein Teil des Verkaufserlöses geht an die Aids-Stiftung „Positiv leben“.
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