Mit Eierbier gegen die Pest

■ Wie Stades Brauer zu Totengräbern wurden Von Jörn Freyenhagen

Die 555 Jahre alte Gilde der Stader Brauerknechte steht in dem Ruf, das beste Eierbier Norddeutschlands zu brauen. Dem heißen Getränk, das rein äußerlich an Kaffee mit viel Milch erinnert, werden nicht nur wundersame Eigenschaften nachgesagt. Die Brauer-knechte verdanken ihm auch das Privileg der Totenbestattung. In historischer Tracht sieht man sie noch heute bei jeder Beisetzung in Stade. Nur einmal im Jahr vergißt die Gilde Pietät und Ernst, um Fastnacht zu feiern: Beim traditionellen Faschingsumzug am Sonnabend (25. Februar) durch die historische Altstadt.

Die Gertruden-Brüderschaft, die Vereinigung der Brauerknechte, wurde 1440 erstmals urkundlich erwähnt. Ihr Vorrecht, die Toten in der Stadt zu bestatten, entstand vermutlich in der Zeit der großen Pest. Zwischen 1590 und 1712 sollen rund 2500 Stader der Seuche zum Opfer gefallen sein. Nur die Brauerknechte galten, da sie ständig Alkohol probieren mußten, als immun gegen alle Infektionen. So wurden sie zu Totengräbern.

Heute sind die Brauerknechte auf zehn Männer zusammengeschrumpft. Sie brauen längst kein Bier mehr, tragen aber immer noch Särge zu Grabe. Rund 400 Mal im Jahr ziehen die Gildemitglieder, im Hauptberuf alle Handwerker, ihre altüberlieferte Totengräberkleidung an: Wams, Kniebundhose und Cape, Schnallenschuhe und Dreispitz, von Kopf bis Fuß – mit Ausnahme der weißen Handschuhe und des weißen Beffchens - alles in Schwarz gehalten. Nachwuchssorgen hat die Gilde nicht, obgleich der Beitritt an eine Bedingung geknüpft ist: Der neue Knecht darf nicht größer als 1,70 Meter sein. „Sonst wackelt der Sarg beim Tragen“, wie Gildemeister Hermann Abbenseth erklärt.

In der historischen Gaststätte „Knechthausen“, ältestes Fachwerkhaus der Stadt, gibt es das Eierbier nicht nur zur Faschingszeit, sondern rund ums Jahr, sofern es von mindestens vier Personen gewünscht wird. Das herzerwärmende und berauschende Getränk, etwas klebrig, aber sehr würzig und gehaltvoll, hilft nach Ansicht von Kennern gegen Erkältungen noch besser als der heißgeliebte Grog.

Nach dem Stader Rezept soll man Eier in Zucker etwa eine halbe Stunde schaumig rühren, dann Bockbier kochen, mit Kaneel und Zitronenschale würzen und schließlich den Eierschaum tropfenweise in das Gebräu einrühren. Am besten schmeckt das Eierbier angeblich aus angewärmten Tonschalen. Kenner verspeisen zum Trunk eine „Hedwig“, ein Brötchen mit Rosinen.