■ Die PKK gibt einseitigen Waffenstillstand bekannt: Öcalans Kalkül ist realistisch
Der Führer der kurdischen Guerillaorganisation PKK (Arbeiterpartei Kurdistans), Abdullah Öcalan, ist immer noch gut für Überraschungen. Eine Woche vor den türkischen Nationalwahlen hat er einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen. Nicht nur das – offen hat er seine Anhänger aufgerufen, eine legale Partei zu unterstützen: das Bündnis „Arbeit, Frieden und Freiheit“ – ein Zusammenschluß der kurdischen „Demokratischen Volkspartei“ mit kleinen türkischen linkssozialistischen Gruppierungen.
Taktiker Öcalan weiß sehr wohl, daß keiner der beiden Antagonisten, weder der türkische Staat noch die PKK, diesen Krieg für sich entscheiden kann. Daß ein Guerillakrieg in dieser Weltregion nicht gewinnbar ist, hat er schon lange erkannt. Auf den militärischen Sieg kommt es ihm gar nicht mehr an. Die Demonstration, daß der türkische Staat nicht Herr über Kurdistan ist, erfüllt den politischen Zweck. Die Menschen in der Türkei beginnen langsam daran zu zweifeln, ob den türkischen Politikern und Generälen, die immer wieder die „endgültige Ausmerzung des separatistischen Terrorismus“ prophezeit haben, Glauben geschenkt werden kann. Dabei hat der Staat fast alles versucht: Er hat modernste Waffentechnologie eingesetzt, er hat Grundrechte außer Kraft gesetzt, und er hat zwei Millionen kurdische Zivilisten aus ihren Heimatdörfern vertrieben. Und dennoch: Weiter sterben türkische Soldaten in Kurdistan.
Die Frage ist, wann die Betonköpfe in der türkischen Politik ein Einsehen haben, den Dialog aufnehmen und dem kurdischen Volk seine Rechte zugestehen werden. Ein Anfang wäre gemacht, wenn mit gewählten kurdischen Abgeordneten geredet würde, statt sie aus dem Parlament ins Gefängnis zu befördern. Eine friedliche Lösung des Konfliktes ist schließlich viel einfacher als in Israel. Längst hat die PKK die Forderung nach einem unabhängigen kurdischen Staat fallengelassen. Die politische Geographie mit ihren staatlichen Grenzen hat dem kurdischen Volk, das zwischen der Türkei, dem Iran, dem Irak und Syrien aufgeteilt ist, schon viel Leid zugefügt. Und mittelfristig sind die Chancen, daß die Türkei, die als einziges Land in dieser Geopgraphie über demokratische Traditionen verfügt, einen Kompromiß mit der kurdischen Bevölkerung findet, gar nicht mal so schlecht. Ömer Erzeren
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